Bayer Leverkusen und seine gereifte Rasselbande

Die Werkself fühlt sich gewappnet fürs Spitzenspiel am Sonntag gegen Bayern München, wo etwas Unruhe herrscht.
Der Leverkusener Motivationskreis verdankt seine Gründung einem dunklen Wintertag im Ruhrgebiet. Im morastigen Geläuf des Viertligisten Rot-Weiss Essen blieben Bayers Bundesligakicker Anfang Februar stecken, leisteten sich dort eine peinliche Pokalpleite – die ihren Abwehrchef umgehend auf den Plan rief: Auf Jonathan Tahs Initiative hin kommen die Mitglieder der Werkself seit dem schwarzen Abend in Essen vor jeder Partie zusammen, um sich gegenseitig anzufeuern. Im Frühjahr half diese Maßnahme immerhin dabei, am Saisonende noch die Eintrittskarte in die Europa League zu ergattern. Und nun, fünf Monate später, reicht es für Bayer 04 schon zu einem Spitzenspiel gegen die Bayern.
Der Abonnementsmeister der vergangenen neun Jahre startet zwar auch in das sonntägliche Gipfeltreffen in der Leverkusener Arena als Tabellenführer, doch der Vorsprung auf den ersten Verfolger beträgt gerade mal vier Treffer. Im vergangenen Jahr in der Vorweihnachtszeit war die Konstellation schon mal ganz ähnlich wie jetzt: Fünf Tage vor Heiligabend empfingen die Rheinländer die Bajuwaren damals sogar als Spitzenreiter, unterlagen dann aber 1:2. Auch, weil Jonathan Tah in der Nachspielzeit patzte.
Inzwischen steht der 25-Jährige - für die EM im Sommer und auch vom neuen Bundestrainer Hansi Flick für die jüngsten WM-Qualifikationsspiele gegen Rumänien und in Nordmazedonien nicht berücksichtigt - der nach Freiburg und Mainz drittbesten Defensive der Liga vor. Seinen Vertrag in Leverkusen hat der 13-malige Nationalspieler Ende September bis 2025 verlängert. Und mit Gerardo Seoane bekam er im Sommer einen neuen Cheftrainer vorgesetzt, der nicht nur in punkto Sprachbegabung ähnlich veranlagt ist wie Tah. Sondern ein ebenso glühender Verfechter des Teamgedankens ist wie der gebürtige Hamburger.
Tah spricht neben Deutsch und Englisch noch Französisch und Spanisch, der gebürtige Luzerner Seoane beherrscht zusätzlich noch Portugiesisch und Italienisch perfekt. Der 42-jährige Coach agiert als polyglotter Dompteur eines Ensembles, dem er für die Partie gegen die Bayern mit auf den Weg gibt: „Solche Spitzenspiele sind immens wichtig für die Entwicklung – sowohl des einzelnen Spielers als auch des gesamten Teams. Dort sammelt man andere Erfahrungswerte, wächst an seinen Aufgaben. Jüngere Spieler wahrscheinlich noch mehr als ältere.“
Ein besonders junger Akteur in den Reihen der Bayern-Jäger ist Florian Wirtz. Mit sechs Toren und fünf Vorlagen in acht Pflichtspieleinsätzen in der laufenden Runde hat der 18-Jährige einen großen Anteil am aktuellen Leverkusener Höhenflug. Nach dem 3:1-Sieg in Unterzahl vor einem Monat in Stuttgart zeigte sich Tah „fasziniert“, wie viel der hochbegabte Teenager Wirtz auch in kämpferischer Hinsicht anzubieten hatte. Und generell stellt der Leverkusener Innenverteidiger im Vergleich zur Vorsaison fest: „Wir sind erwachsener geworden – auch wenn wir insgesamt jünger sind.“
Diese gereifte Rasselbande empfängt nun einen Gegner, der vor zwei Wochen gegen Frankfurt seine erste Saisonniederlage kassierte und bei dem etwas Unruhe herrscht. Münchens französischer Nationalspieler Lucas Hernandez muss am nächsten Dienstag, einen Tag vor der Champions-League-Partie der Münchner bei Benfica Lissabon, wegen eines Verstoßes gegen das Annäherungs- und Kontaktverbot seiner Frau vor dem 32. Strafgericht in Madrid erscheinen. Und mit Robert Lewandowski, zuletzt in vier Pflichtspielen in Folge ohne Treffer, beschäftigt der Branchenführer zudem einen Goalgetter, der sich angeblich gerade Gedanken über einen Abschied vom FCB nach dieser Saison macht.
„Völlig unverständlich, aber auch das passiert jedem Fußballer mal“, kommentiert Herbert Hainer Lewandowskis momentane Torflaute. Und zum anstehenden Duell an der A1 sagt der Bayern-Präsident: „Ich freue mich riesig darauf, bin sehr positiv gestimmt – und denke, wir werden das Spiel gewinnen.“
Auch Julian Nagelsmann freut sich auf ein „echtes Spitzenspiel“, er zeigt sich beeindruckt vom Herausforderer: „Leverkusen macht es unglaublich stabil. Ich habe sie in jedem Jahr auf dem Zettel – weil ich finde, dass sie einen guten Blick für Spieler und einen qualitativ hochwertigen Kader haben.“ Wenn man bedenke, wie jung die meisten Bayer-Spieler sind, sei das „schon stark“, applaudiert Nagelsmann verbal. Und dementsprechend begrüßt Jonathan Tah den Besuch aus dem Freistaat nun auch mit dem Bekenntnis: „Wir sind alle heiß auf das Spiel.“