Die TSG Hoffenheim blickt bang in den Abgrund

Die TSG Hoffenheim hat unter dem neuen Trainer Pellegrino Matarazzo den Resetknopf noch nicht gefunden - ein Abstieg ist mittlerweile alles andere als unrealistisch.
Am Samstag stauten sich die Autos noch anderthalb Stunde lang von den Parkplätzen der Arena in Sinsheim zur nahen Autobahn. Die TSG Hoffenheim läuft Gefahr, ein derartiges Gedränge für geraume Zeit das letzte Mal erlebt zu haben. Es ist ein banger Blick des Bundesliga-16 in den Abgrund. Denn mehr als 30 000 Menschen, wie beim 0:1 gegen Borussia Dortmund, werden in der Schlussphase dieser Saison wohl kaum noch einmal in die schöne Arena kommen.
Und sollte das passieren, was die Pessimisten im Kraichgau umtreibt, dann gute Nacht, Marie: Ein Abstieg würde am Standort im Niemandsland zwischen Heidelberg und Heilbronn verheerende Folgen haben. Denn das 2009 nicht ganz pünktlich zum Bundesligaaufstieg mit dem seinerzeit noch als Anschubinvestition opulent fließenden Kapital von Mäzen Dietmar Hopp fertiggestellte Stadion würde sich dann wohl allenfalls mit vierstelligen Zuschauerzahlen notdürftig befüllen lassen.
Die Rechnung ist zugegeben ein wenig überspitzt, aber auch aufschlussreich: Wenn in Stuttgart zehn Prozent der Bevölkerung in die Arena kommen, ist sie voll. Wenn selbiges im 3400-Seelen-Dorf Hoffenheim passieren würde, wären 340 Menschen vor Ort. Ironie des Schicksals: Am allerletzten Spieltag trifft der kürzlich als Nachfolger von André Breitenreiter verpflichtete Trainer Pellegrino Matarazzo in Stuttgart auf jenen ebenfalls im feuchten Tabellenkeller bibbernden Klub, bei dem er nach dem heiß bejubelten Klassenerhalt 2022 im Oktober entlassen wurde.
Anfangs, nach dem Aufstieg 2008, hat Hoffenheim das Land mit einem Überfallfußball begeistert, den der damalige Trainer Ralf Rangnick erfunden hatte. Der seinerzeit noch nicht mal 30 Jahre alte Julian Nagelsmann brachte zwischen 2016 und 2019 Spielstil und Begeisterung zurück.
Noch vergangene Saison unter Sebastian Hoeneß nach dem 19. Spieltag und diese Spielzeit unter Breitenreiter nach dem zehnten Spieltag war der Dorfverein jeweils Vierter der Bundesligatabelle. Danach folgte jeweils der Einbruch, wie übrigens schon im ersten Jahr im Oberhaus, als Hoffenheim als Herbstmeister in der Rückrunde abstürzte.
Für Sportchef Alex Rosen ist klar, dass es sich angesichts der Situation auf einem Champions League-Platz noch im Spätherbst nicht um eine grundsätzliche Frage der Qualität handeln kann. Sondern um ein Kopfproblem. Aber der Verkauf des Topstürmers Georginio Rutter in der Winterpause hat zwar 28 Millionen Euro in die Kasse gespült, dem Team jedoch gleichzeitig Tempo und damit Tiefe genommen.
Fehlendes Tempo
Ob der mit überragendem Talent gesegnete Tom Bischof, gerade 17 Jahre alt, sich in dieser Drucksituation entwickeln kann? Ein Vorbild dafür gäbe es: Vor zehn Jahren brachte der damalige Trainer Markus Gisdol den damals ebenfalls erst 17-jährigen Niklas Süle im Abstiegskampf und in der erfolgreichen Relegation gegen den 1. FC Kaiserslautern.
Weil Mehrheitseigentümer Dietmar Hopp, bald 83, nicht noch mehr frisches Geld in den von ihm allein aufgepamperten Klub schießen will, war der Transfer nach der Coronazeit alternativlos, Drei Neue in einem Alter, das ansonsten nicht zum Beuteschema gehört, hat Rosen in der Not kurzfristig verpflichtet. Mit bescheidenem Erfolg: Kasper Dolberg (25), Anthony Brooks (29) und Thomas Delaney (31) sollten dem Team eigentlich Halt geben, saßen aber allesamt gegen Dortmund nur auf der Bank. Ihr Mehrwert bisher: null! Das Tempoproblem dieser Mannschaft sieht damit eher noch offenkundiger aus.
Der emphatische Matarazzo ist angetreten, um „den Resetknopf zu drücken“. Seine Hoffenheimer Vergangenheit als ehemaliger Co-Trainer von Julian Nagelsmann zu Zeiten, als die TSG gegen den FC Liverpool in der Qualifikation zur Königsklasse mitreißend Fußball spielte, soll ihm dabei hilfreich sein. Das Ergebnis in Zahlen könnte sich aber dünner kaum lesen: Niederlage gegen Leverkusen, Niederlage in Augsburg, Niederlage gegen Dortmund.
Aber immerhin: Nach den desolaten Auftritten gegen Bayer und Augsburg war gegen den BVB eine deutliche Steigerung unübersehbar. Matarazzo traute sich danach sogar, diesen Satz zu formulieren: „Gegen Mainz greifen wir an!“ Aber der Italo-Amerikaner weiß natürlich auch, dass der nächste Gegner am Samstagnachmittag gerade eine ziemlich hohe Welle reitet.
Hohn und Spott für die TSG
Ursprünglich war es nicht nur nach Ansicht von Milliardär Dietmar Hopp das Ziel gewesen, sich unter den Top-Sechs festzusetzen. Stattdessen müssen die Hoffenheimer nun auch noch medialen Hohn und Spott ertragen, den Alex Rosen „provokant und respektlos“ findet. „TSG Trostlos“ schreibt die „Sportbild“ unbarmherzig. „Die Mannschaft, einst ein Zukunftslabor voller Talente war, ist heute ein Sammelbecken von Durchschnittsspielern“ analysiert der „Münchner Merkur“ und ätzt: „Hoffenheim ist einfach nur da. Darüber hinaus hat die TSG keine Bestimmung. Sie ist verzichtbar.“
Ähnlich hatte sich BVB-Boss Hans-Joachim Watzke schon vor Jahren geäußert: „Die Bundesliga braucht Hoffenheim nicht zwingend.“ Immerhin: Am Samstag vor der Partie nahm der mächtigste Mann im deutschen Fußball eine Einladung der TSG-Geschäftsführung zum gemeinsamen Kaffeetrinken an.
Für die rund 160 Hoffenheimer Mitarbeitenden gab es weniger erfreuliche Nachrichten. Der Klub stornierte die traditionelle Winterfeier am 6. März. Unter anderem deshalb, weil es „nach außen niemand verstehen“ würde, wenn die TSG „in dieser für den Klub so schwierigen Zeit zum Galaabend lädt“.