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Außer Rand und Band

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Von: Thomas Kilchenstein

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Prügelknabe: Schiedsrichter Felix Zwayer steht im Mittelpunkt der hitzigen Debatten.
Prügelknabe: Schiedsrichter Felix Zwayer steht im Mittelpunkt der hitzigen Debatten. © imago images/Kolvenbach

Ein umstrittener Pfiff überlappt ein echtes Spitzenspiel zwischen Dortmund und Bayern - und das ist total schade.

An diesem aufregenden, wilden, spannenden, verregneten Abend im Dortmunder Fußballtempel hätte man über viele Leute reden können: Man hätte über Julian Brandt reden können, der früh ein wunderschönes, abgezocktes Tor für den BVB erzielt hatte und der dann später nach einem fürchterlichen Zusammenprall mit den Köpfen in ein Krankenhaus transportiert werden musste. Ihm geht es mittlerweile, wie es heißt, den Umständen entsprechend gut. Man hätte über einen gewissen Marco Rose reden können, der doch eigentlich ein Fußballlehrer sein soll, sich in diesem Gipfelduell mit dem FC Bayern aber zeitweise nicht mehr unter Kontrolle hatte und sich wie ein unerzogenes Rumpelstilzchen aufgeführt hatte, der mit beiden Händen von einem seiner vielen Co-Trainer festgehalten werden musste. Wäre der Mann womöglich rachsüchtig jemandem auf dem Rasen an die Gurgel gegangen? Trainer Rose sah dann nach der gelben auch die gelb-rote Karte, kommt auch nicht so häufig vor, von wegen Vorbild und so.

Man hätte über Erling Haalands Tor mit rechts zum 2:2 reden können, oder über Robert Lewandowskis 122. Doppelpack. Gerne hätte man über Mats Hummels Neues erfahren: Der Mann im gelben Hemd hatte alle drei Tore der Münchner auf dem Gewissen, erst schoss er als letzter Mann Thomas Müller an, dann legte er vor dem 1:2 durch Kingsley Coman per Brust einem Bayern-Spieler den Ball maßgerecht in den Lauf, dann verursachte er mit einem Handspiel im eigenen Strafraum den entscheidenden 3:2-Siegtreffer des Branchenführers. Schließlich wäre man gern in Kenntnis gesetzt worden, wie ein hochbezahlter Fußballprofi, Nationalspieler des Weltmeisters noch dazu, Corentin Tolisso, es fertig bringt, einen Ball aus 35 Metern an einem völlig verwaisten 7,32 Meter großen Tor vorbeizuschießen.

Das alles wäre eine Diskussion wert gewesen. Doch hinterher stand nur ein Mann im Fokus, der Schiedsrichter Felix Zwayer, der im Grunde, zumindest nach Einschätzung des Deutschen Fußball-Bundes, alles richtig gemacht hat: Diskussionen über den Handelfmeter gegen Hummels (73.) und Dortmund seien angesichts von Zwayers großzügiger Linie zwar „nachvollziehbar“, sagte Jochen Drees, Projektleiter für den Videobeweis. Aber: „Betrachtet man die Situation trotzdem losgelöst, ist die Bewertung eines strafbaren Handspiels und somit eines Strafstoßes korrekt.“

So klar und deutlich hatte das am Samstagabend keiner gesagt, dem man ein Mikrofon vor die Nase gehalten hatte, und das waren viele. Die meisten - außer den Bayern - warfen dem 40 Jahre alten Unparteiischen Parteilichkeit vor, diesen Handelfmeter hätte nie und nimmer gegeben werden dürfen, sagten sie, zumal Zwayer in einer ähnlich strittigen Szene zuvor - bei einem Zweikampf zwischen Marco Reus und Lucas Hernandez - nicht auf Strafstoß entschieden hatte - und sich den Fall, anders als beim Handspiel, nicht am Bildschirm angeguckt hatte. Ausgerechnet der Dortmunder Jungmann Jude Bellingham wählte die harschesten Worte: „Du gibst einem Schiedsrichter, der schon in Spielmanipulationen verwickelt war, das größte Spiel in Deutschland. Was erwartest du?“, hatte der englische Nationalspieler beim norwegischen Sender Viaplay Fotball über Referee Zwayer gesagt. Der 18-Jährige spielte damit auf die Verwicklung von Zwayer in den Schiedsrichter-Skandal um Robert Hoyzer in der Bundesliga vor 16 Jahren an, Zwayer hatte seinerzeit 300 Euro von Hoyzer angenommen und einen Verdacht gegen den zu einer Gefängnisstrafe verurteilten Skandalschiri nicht rechtzeitig dem DFB gemeldet. Vermutlich wird die Aussage sportjuristische Konsequenzen haben, der DFB-Kontrollausschuss wird prüfen und erwartet einen Bericht. Schließlich ist Zwayer, der 2005 zu den Kronzeugen gegen Hoyzer gehörte, längst rehabilitiert. Während BVB-Boss Hans-Joachim Watzke Bellingham verbal zur Seite sprang und jugendliche Unreife plus Emotionalität als Verteidigung anführte, sagte Bayern Vorstand Oliver Kahn: „Das geht natürlich schon einen gewaltigen Schritt zu weit.“

Zwayer sah sich bei aller Kritik im Recht. „Der Videoschiedsrichter hat für sich eine Beurteilung vorgenommen und gesagt: ,Hummels hat den Arm in einer unnatürlichen Armhaltung vom Körper weggestreckt. Daraufhin habe ich es mir am Monitor angeschaut und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass es ein strafbares Handspiel ist’“, sagte er bei Sky. Dass sich der Schiedsrichter den Fragen stellte und sich nicht wegduckte, war aller Ehren wert.

Dass der Referee wenige Minuten vor dem Elfmeter bei einem Sturz von Reus im Münchner Strafraum auf eine Sichtung der TV-Bilder verzichtet hatte, vergrößerte den Dortmunder Ärger. „Meine Elfmeterszene war auch 50:50. Das hätte er sich wenigstens anschauen müssen“, befand Reus. Zwayer tat das nach eigener Aussage nicht, da er die Situation klar gesehen, bewertet und aus Köln von Tobias Welz keinen Hinweis bekommen habe. Selbst Trainer Julian Nagelsmann äußerte Verständnis für den Unmut der Dortmunder. „In meinen Augen kann man beide Elfmeter geben.“

Fest steht, dass ein klasse Fußballspiel von zwei Teams mit offenem Visier und auf Augenhöhe komplett überlappt wurde von einer Schiedsrichter-Entscheidung. Man hätte hinterher viel lieber über andere Dinge geredet. mit dpa Kommentar Seite S2

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