Der Aufsteiger der Saison

Das Fußballerleben hat es bisher gut mit U21-Nationalspieler Florian Neuhaus gemeint.
Yakup Imret steht in einem Tagungsraum eines Frankfurter Hotels mit Blick auf den Main. Seine Stimme gerät ins Stocken. Der 20-Jährige leidet an Blutkrebs, Immer wieder muss er gegen die Tränen ankämpfen, als er seine Geschichte erzählt. Im Raum sitzen die 23 deutschen Fußball-Nationalspieler der U21, die am heutigen Freitagabend (20 Uhr, Eurosport) gegen die Niederlande auf dem Bieberer Berg in Offenbach spielt. Es sind kraftstrotzende junge Männer, denen die Welt zu Füßen liegt.
U21-Bundestrainer Stefan Kuntz ist es wichtig, dass seine Spieler gelegentlich rauskommen aus ihrer Blase und erkennen, in welch privilegierter Lebenssituation sie sich befinden. Yakup Imret, der seine kleine Karriere mit 17 wegen der schweren Erkrankung und folgender zweijähriger Chemotherapie unterbrechen musste und nach wie vor schwer an den körperlichen Folgen der Leukämie trägt, hat den jungen Fußballprofis im Rahmen der Initiative „Du musst kämpfen“ von seinem Schicksal berichtet.
Florian Neuhaus ist ein Jahr älter als Yakup Imret. Er lauscht dem jungen Mann inmitten der Teamkollegen aufmerksam. Für Borussia Mönchengladbach hat der schmächtige Bursche aus dem bayerischen Kaufering elfmal in der Bundesliga gespielt und mit sechs Vorlagen erheblich dazu beigetragen, dass die Gladbacher erster Verfolger von Borussia Dortmund sind. Wer mit Neuhaus spricht, erfährt die Erfolgsstory eines Menschen, für den es stets aufwärts ging. Das Leben hat es bisher gut mit ihm gemeint. An einem Tag wie diesem wird es ihm besonders bewusst. Er ist der Aufsteiger dieser Saison.
In der Jugend bei 1860 München
Neuhaus sitzt tief in einem Ledersessel. Der Deutsche Fußball-Bund hat das Gespräch mit der Frankfurter Rundschau in „Harry’s New York Bar“ angesetzt. Es riecht nach kaltem Zigarrenrauch, auf der Getränkekarte stehen die Cocktails „Bobby’s Burn“, „Bensonhurst“ und „Paddy O’Plum“ für 12,50 Euro pro Mix. Florian Neuhaus will noch nicht mal ein Wasser oder einen Kaffee.
Als er zehn Jahre alt war, wechselte er zu 1860 München, die großen Bayern waren zu spät gekommen. Sechs Jahre lang wurde der kleine Kerl zu Training und Spielen hin- und wieder herchauffiert, ehe er selbst mit dem Zug fahren durfte. „Ich bin meinen Eltern, meiner Oma und meinem großen Bruder wahnsinnig dankbar, dass sie mich immer 70 Kilometer zum Training und den Spielen gefahren haben.“
Florian ist der mittlere von drei Brüdern, auch der ältere Daniel und der jüngere Niklas wurden als Kinder vom Vater trainiert. „Wir sind am Wochenende regelmäßig von einem Fußballplatz zum anderen gefahren“, berichtet er sich mit leuchtenden Augen. Weniger begeistert erinnert er sich an die Ausbildung zum Bürokaufmann in München. Er weiß die Zeiten noch genau: um 7.40 Uhr in den Zug, nach der Arbeit und dem Training um 21.19 Uhr mit dem Regionalexpress nach Hause und ab ins Bett. Nach knapp zwei Jahren brach er die Lehre ab. Er hatte seinen ersten Profivertrag unterschrieben.
Mittlerweile wohnt Florian Neuhaus mit der Freundin, die gerade an ihrem Jura-Examen bastelt, in einer Wohnung in Düsseldorf. Er ist aus München den Umweg über ein Jahr in der zweiten Liga bei Fortuna Düsseldorf gegangen, um sich nun in Mönchengladbach zu etablieren. U21-Trainer Kuntz findet das vorbildlich: „Besser, du spielst in der zweiten Liga, als in der Bundesliga auf der Bank zu sitzen.“ Er sage „den Jungs immer wieder: Nichts ersetzt die Spielpraxis. Das Geld, auf das man anfangs vielleicht verzichtet, kommt später vielfach wieder rein.“
Früher war er Micoud-Fan
Florian Neuhaus ist ein wunderbares Beispiel, dass es so klappen kann. Seine grazile Spielweise hat er im Unterhaus unter Friedhelm Funkel mit Körperlichkeit gepaart, das hat seiner Entwicklung gutgetan. „Dass in der Bundesliga mehr Fußball gespielt wird als in der zweiten Liga, kommt mir sehr entgegen.“
Als Junge war er großer Fan von Werder Bremen, nachdem ihm sein Onkel ein Ailton-Trikot schenkte. „Ich bin wegen der Mannschaft 2004 mit Micoud und Ailton Werder-Fan geworden. Da war ich sieben Jahre alt. „Ich fand Bremen gut, weil die wahnsinnig viele Spielmacher hatten: Micoud, Diego, Özil, de Bruyne. Denen habe ich immer sehr gerne zugeschaut.“
Jetzt befindet er sich höchstpersönlich auf dem Weg in eine ähnliche Rolle. „Ich bin wahnsinnig froh, wie der Saisonstart für uns gelaufen ist und über meine Spielzeit. Die Herausforderung wird jetzt sein, diese Leistungen konstant zu zeigen. Der erste Schritt ist schon mal gelungen.“ Wenn Florian Neuhaus daheim die Beine hochlegt und die Freundin Jura paukt, schaltet er am liebsten den Fernseher an und guckt Fußball: erste, zweite und dritte Liga, Premier League und spanischer Fußball gehören bei ihm zum Pflichtprogramm. Er ist ja noch blutjung, aber er weiß schon, was später mal kommen soll: „Ich interessiere mich wahnsinnig für Fußball und will nach meiner Karriere im Fußballgeschäft bleiben. Das ist meine Leidenschaft.“ Vielleicht wird er die Tränen des Yakup Imret dabei niemals ganz vergessen.