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Aufklärung für DFB-Spieler: Händchenhalten gegen Katar

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Von: Jan Christian Müller

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Deutsche Protestnote beim Länderspiel in Duisburg im März 2021.
Deutsche Protestnote beim Länderspiel in Duisburg im März 2021. © AFP

Die deutschen Fußball-Nationalspieler werden weiter aufgeklärt, was sie im Land des WM-Ausrichters Katar erwartet - und was von ihnen erwartet wird.

Die Streber in der ersten Reihe hießen Joshua Kimmich, Thomas Müller, Serge Gnabry und Timo Werner. Dahinter saßen nach dem Training in Herzogenaurach frisch geduscht, aufrecht und aufmerksam alle anderen deutschen Fußball-Nationalspieler. In Abwesenheit des an Corona erkrankten DFB-Präsidenten Bernd Neuendorf lauschten sie eine Stunde lang mal nicht taktischen Ausführungen von Hansi Flick, sondern sieben Männern und einer Frau zum komplexen Thema der Menschenrechte bei der bevorstehenden Weltmeisterschaft in Katar.

Auch die Medien waren in den hinteren Reihen zur Info-Veranstaltung zugelassen. Der Deutsche Fußball-Bund will demonstrieren, dass er verstanden hat; kapiert hat, dass es unanständig wäre, wenn Vielfach-Millionäre in Stollenschuhen sich mit den Lebensbedingungen „von Menschen der dritten und vierten Klasse“ (DFB-Direktor Oliver Bierhoff) im Land des WM-Ausrichters nicht zumindest beschäftigen würden.

Für die Glaubwürdigkeit des größten Einzelsportverbandes der Welt ist es sicher hilfreich, dass seit einem Monat Steffen Simon als Mediendirektor fungiert. Ein glaubwürdiger Mann, der bei seinem vormaligen Arbeitgeber, dem WDR, verbandskritische sportpolitische Formate eingeführt und gefördert hat. Simon moderierte am Mittwoch für die kurzfristig erkrankte ARD-Moderatorin Esther Sedlaczek, und er machte das gut. Der DFB, so scheint es, häutet sich.

Hitzlsperger dämpft Druck

Das ist auch dringend notwendig, Martin Endemann, Sprecher der Football Supporters Europe, sagte: „Fans haben sehr hohe Erwartungen an Vereine und Verbände. Da muss der DFB jetzt vorangehen.“ Das erwartet auch Christian Rudolph, im DFB Anlaufstelle für sexuelle Vielfalt, von seinem Arbeitgeber. Er bittet außerdem darum, „dass Sponsoren und Medien die WM in Katar maximal kritisch begleiten“.

Und die Spieler? Von denen wird das in dieser Form nicht gefordert. Womöglich wäre das auch zu viel verlangt. „Vielleicht braucht es von euch gar nicht die großen Reden“, rief Pia Mann von der Aktionsgruppe Discover Fußball den Profis zu, „manchmal tun es auch die kleinen Gesten. Etwa, eine Regenbogenfahne auf Instagram zu posten.“

Auch Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger, auf Fortbildungsreise aus Boston per Video zugeschaltet, war es ein Anliegen, den Druck von den Nationalspielern zu nehmen. Es sei schon eine „brutale Entwicklung“, dass „ihr da seid und zuhört“. Und es sei „völlig legitim, auch mal zu sagen: ,Ich weiß darüber nicht genug Bescheid. Ich kann dazu nichts sagen.´“

Hitzlsperger wird sich als erster prominenter Ex-Fußballprofi, der sich als schwul outete, alsbald für eine TV-Reportage nach Katar begeben, wo ausgelebte Homosexualität unter Gefängnisstrafe steht. Sein Anliegen: „Ich möchte auch denjenigen Menschen eine Stimme geben, die nicht so komfortabel leben wie wir in Deutschland.“ Gleichwohl ist der DFB-Botschafter für Vielfalt skeptisch: „Ich glaube nicht, dass der DFB und andere Verbände das Land verändern werden.“

Diese trübe Aussicht über einen Überwachungsstaat (ARD-Reporter Philipp Sohmer: „Die wissen immer, wo du bist“) wird nicht überall geteilt. Sportmarketing-Experte Roland Bischof, der sich mehr als 70 Mal als Geschäftsmann im Wüstenemirat aufgehalten hat, warnt: „In Katar gibt es Reformer, die es ernst meinen. Wenn wir auch auf denen rumhacken, geben wir denen Traditionalisten Munition, die Reformen ablehnen.“ Bischofs Analysen über vorgebliche Fortschritte bei den Frauenrechten wurden im weiteren Fortlauf der Diskussion allerdings von Fanvertreter Endemann zerlegt, der hinzufügte: „Wir alle haben bei der WM 2018 geholfen, Russland zu normalisieren. Und wir helfen jetzt, Katar zu normalisieren.“

Wenig überraschend, dass der aus Straßburg zugeschaltete ehemalige DFB-Sicherheitschef und Ex-Präsident von Kickers Offenbach, Helmut Spahn, ein positives Bild des Ausrichterlandes zeichnete. Spahn stand jahrelang als Generaldirektor in Diensten des katarischen International Centers for Sport Security und ist jetzt Fifa-WM-Sicherheitschef. Er sprach davon. Katar sei „das sicherste Land der Welt“. Dem entgegnete Aktivistin Pia Mann: „Ich würde mich nicht sicher fühlen, wenn ich mit meiner Partnerin nach Katar reisen würde.“ Denn, so DFB-Vielfaltsexperte Rudolph: „Wenn Händchenhalten schon unter Strafe gestellt wird, gibt das kein Sicherheitsgefühl.“

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