Nationalmannschaft: Versteckte Botschaften an Manuel Neuer

In Abwesenheit des verletzten Torwarts und Kapitäns kündigt sich beim DFB-Team die Wachablösung auf mehreren Ebenen an. Für Zündstoff ist gesorgt.
Am Montag in aller Früh hat der Bundestrainer höchstpersönlich bei Manuel Neuer angerufen. Es gab einen Grund für Hansi Flick, den Versuch zu unternehmen: Der derzeit wegen der Folgen eines Skiunfalls noch in Rekonvaleszenz befindliche ehemalige Welttorhüter beging zum Wochenstart seinen 37. Geburtstag – und ging nicht ans Handy, als sein ehemaliger Bayern-Coach anrief.
Es ist gerade eine hochsensible Situation. Neuers jahrelanger geduldiger Stellvertreter Marc-André ter Stegen wird am Dienstagabend (20.45 Uhr, RTL) im noch nicht ganz ausverkauften Stadion in Köln gegen Belgien wieder im Tor stehen. Der 30-Jährige erhielt von Flick maximales Vertrauen. Der Bundestrainer stellte bald nach Neuers Verletzung klar, dass ter Stegen nun erst einmal die klare Nummer eins ist und sich somit keinesfalls in einen Zweikampf mit dem Frankfurter Kevin Trapp begeben muss. Bemerkenswert allemal, dass dem Keeper des FC Barcelona zudem das Trikot mit der Rückennummer 1 zugewiesen wurde. „Ich habe immer mein Ziel vor Augen, das werde ich weiterhin verfolgen und alles dafür tun, damit ich es erreiche“, sagte ter Stegen. Kein Zweifel: Manuel Neuer wird all das registriert haben.
Auffällig ist auch, dass die interne Debatte um die Farbenlehre der Kapitänsbinde ohne Zuschaltung von Neuer geführt wurde. Laut DFB habe es dazu eine Unterredung von Sportdirektor Rudi Völler, DFB-Präsident Bernd Neuendorf, Flick und Joshua Kimmich gegeben, der am Samstag gegen Peru den Kapitän gab und das DFB-Team auch Dienstag gegen Belgien wieder aufs Feld führen wird. Auch dass er bei dem Spitzengespräch nicht um seine Meinung gebeten wurde, dürfte Neuer zu interpretieren wissen.
Flick reagierte in der Pressekonferenz auf Nachfrage relativ kurz angebunden dazu: „Manuel ist nicht da und Jo trägt die Binde.“ Später erläuterte der Bundestrainer im ARD-Interview noch vielsagend: Grundsätzlich sei es so, „dass ein Feldspieler direkten Kontakt zum Geschehen hat, während ein Torhüter weit entfernt ist“, Klingt verdächtig nach einer Wachablösung light.
Zum Spiel
Deutschand: ter Stegen (FC Barcelona) – Wolf (Borussia Dortmund), Ginter (SC Freiburg), Kehrer (West Ham United), Raum (RB Leipzig) – Kimmich (FC Bayern München), Can (Borussia Dortmund) – Gnabry (FC Bayern München), Wirtz (Bayer Leverkusen) – Füllkrug (Werder Bremen), Werner (RB Leipzig).
Belgien: Casteels (VfL Wolfsburg) – Castagne (Leicester City), Bornauw (VfL Wolfsburg), Vertonghen (RSC Anderlecht), Theate (Stade Rennes) – De Bruyne (Manchester City), Mangala (Nottingham Forest), Carrasco (Atlético Madrid) – Lukebakio (Hertha BSC), Lukaku (Inter Mailand), Trossard (FC Arsenal).
Schiedsrichter: Willy Delajod (Frankreich).
Lahm kontra Ballack
Kimmich wird mit einiger Sicherheit nicht – wie Philipp Lahm angesichts des verletzungsbedingten Fehlens von Michael Ballack während der WM 2010 in Südafrika – öffentliche Ansprüche geltend machen, dass er nicht nur der gegenwärtige, sondern auch der künftige Kapitän des DFB-Teams sein will. Aber der 75-fache Nationalspieler nimmt die Rolle der Führungskraft auffällig gerne an. Vergangene Woche suchte er sich die meinungsbildende FAZ zum Interview aus, bei der letzten Pressekonferenz vor dem ersten Spiel nach der WM-Pleite saß er auf dem Podium. Jedes Mal demonstrierte er recht eindrucksvoll, dass er sich nicht nur mit seiner persönlichen Performance beschäftigt, sondern längst den Blick geweitet hat und die Entwicklung der Mannschaft kritisch begleitet. Er ist in seinem Können und der Ausstrahlung das, was der EM-Turnierdirektor 2024, Lahm, 2010 unter Joachim Löw war. Allerdings mit dem Unterschied, dass seinerzeit der vormalige Kapitän Ballack bei Bundestrainer und weiten Teilen des Teams nicht mehr wohlgelitten war.
Das gilt im Fall Neuer in dieser Form nicht. Der Torwart galt als akzeptiert bei Verbandsführung, Trainern und Team, wenngleich ein Formverlust nicht erst bei der WM offenkundig wurde. Joshua Kimmich seinerseits hat bereits festgestellt, dass er in Abwesenheit von Neuer als Kapitän „den einen oder anderen Termin mehr“ zu erledigen hat. Siehe Besprechung zur Kapitänsbinde.
Manuel Neuer seinerseits erlebt gerade nicht nur Entwicklungen, die ihn mit Blick auf seine Zukunft nachdenklich stimmen sollten. Sondern auch echte Fortschritte, etwa jene, dass er sich bereits seit mehr als drei Wochen ohne Krücken fortbewegen kann. Und vor allem natürlich die vorzeitige Verabschiedung von Julian Nagelsmann durch den FC Bayern. Neuer äußerte sich dazu in den Sozialen Netzwerken überhaupt nicht. Seine Meinung dazu, das ist gewiss, stimmt mit der von Kimmich keineswegs überein.