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Abschied eines Unangepassten

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Von: Jan Christian Müller

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Ein Typ, der in kein Raster passt und nun seinen eigenen Weg geht: Jörg Schmadtke. dpa
Ein Typ, der in kein Raster passt und nun seinen eigenen Weg geht: Jörg Schmadtke. dpa © Swen Pförtner/dpa

Der nicht eben stromlinienförmige Fußballmanager Jörg Schmadtke verabschiedet sich weit vor dem Rentenalter aus dem Business.

Erneut ein Typ weniger. Es verabschiedet sich einer, der nie ins Raster passen wollte. „Ich hatte nie Angst davor, Entscheidungen gegen den Mainstream zu treffen“, sagt Jörg Schmadtke. Er ist damit gut gefahren. Aber jetzt ist Schluss. Vorzeitig. Aus eigenem Antrieb und bestens vorbereitet.

Wenn es für den VfL Wolfsburg so kommen sollte, wie es in der Vergangenheit für Klubs gekommen ist, bei denen Jörg Schmadtke zuständig war, dann verhieße das nichts Gutes. Am Dienstag anlässlich des DFB-Pokalspiels bei Union Berlin wird der Sport-Geschäftsführer der Niedersachsen seinen letzten Arbeitstag erleben. Nicht den letzten beim Werksklub, sondern den letzten überhaupt. Mit 58.

Die Deutsche Presseagentur hat aus diesem Anlass im Archiv nachgeschaut und ebenso messerscharf wie richtig analysiert: „Überall galt in den vergangenen 20 Jahren die Regel: Schmadtke-Klubs ging es nach der Schmadtke-Zeit deutlich schlechter als währenddessen.“ Und dann zählt die dpa auf: „Alemannia Aachen entwickelte sich unter ihm vom Beinahe-Pleitier zum Pokalfinalisten, Uefa-Cup-Teilnehmer und Bundesligaaufsteiger. Fünf Jahre nach der Trennung versank der Klub in der Regionalliga. Auch Hannover 96, den 1. FC Köln und den VfL Wolfsburg führte er zurück in das internationale Geschäft.“

Jörg Schmadtke, der über die Jahre hinweg abwechselnd als brummige Mieselaunebär, Sturkopf, Grummelkopf, komischer Kauz, Unikum oder Brummbär bezeichnet worden ist, nimmt sich die Freiheit, schon neun Jahre vor dem für seinen Jahrgang errechneten Renteneintrittsalter aufzuhören. Es ist eine Freiheit, die ihm auch aufgrund der bequemen Finanzausstattung gestattet ist, die ihm das Fußballbusiness beschert hat. Er war Torwart bei Fortuna Düsseldorf in seiner Heimatstadt und beim SC Freiburg und spielte 266-mal in der Fußball-Bundesliga.

Und er schaffte dann nach abgebrochenen Studien des Maschinenbaus und der Betriebswirtschaftslehre auf höchst ungewöhnlichem Weg den Sprung ins Management. Alemannia Aachen suchte im Mai 2001 per Stellenanzeige im Fachblatt „Kicker“ einen Sportdirektor. Schmadtke bewarb sich und setzte sich in der Endausscheidung gegen zwei weitere Bewerber durch. So begann seine zweite Laufbahn, der er jetzt ein vorzeitiges Ende setzt.

Jörg Schmadtke hat aus gegebenem Anlass in den vergangenen Wochen einige Abschiedsinterviews gegeben. Er sagte da Sätze wie jenen, der am Montag just in jenem Magazin veröffentlicht wurde, dem er seinen Job qua Stellenanzeige zu verdanken hat: „Es gibt sogar Menschen, die mich wiedersehen und mit mir einen Kaffee oder ein Bier trinken wollen. Ich bin nicht so ein Riesenarsch, wie man vielleicht denkt.“

Aber er weiß natürlich, dass er sich nicht überall beliebt gemacht hat dort, wo er aufgetaucht ist. Stromlinienförmig war der gebürtige Rheinländer nie, weder konformistisch noch opportunistisch. „Es kann schon sein, dass ich dem einen oder anderen mal ein bisschen doller auf den Schlips getreten bin“, sagte er dem „Kicker“ - und fügte in der ihm typischen Ironie an: „Wer sich angesprochen fühlt: Dafür entschuldige ich mich in aller Form.“

Besonders sein Verhältnis zu den Trainern gestaltete sich wiederholt schwierig. Schmadtke scheute keine Konflikte. Mirko Slomka bei Hannover 96, Bruno Labbadia und Oliver Glasner beim VfL Wolfsburg haben das erlebt. Und auch das vier Jahre lang vertrauensvolle Verhältnis zu Peter Stöger beim 1. FC Köln endete belastet.

Seinen Rückzug hat der Geschäftsführer des VfL Wolfsburg lange geplant und wohlüberlegt, die Nachfolge aus seiner Sicht vortrefflich geregelt. „Ich finde es angenehm, aufrecht durch die Tür zu gehen und nicht durch den Hinterausgang geschoben zu werden.“ Der Staffelstab wird an Marcel Schäfer weitergereicht, seinem Vertrauten beim VfL Wolfsburg.

Aus den ganz großen Debatten des Profifußballs hat er sich irgendwann ziemlich rausgehalten. Einst hatte er für ein gerechtes Verhältnis bei der Ausschüttung der TV-Gelder plädiert, wollte die minderbemittelten Kleinen den ohnehin opulent ausgestatteten Branchengrößen gleichstellen. „Kommunistische Ideen“, lautete der Vorwurf von Kollegen, über den Schmadtke noch heute schmunzelt. Sein Wunsch zum Abschied: „Eine produktive und konstruktive Diskussionskultur sowie zukunftsträchtige Entscheidungen, die nicht nur vom Hier und Heute bestimmt sind sowie auf das Gesamtgut Fußball abgestimmt sind.“ Das „Spiel an sich liebe ich immer noch, die Begleiterscheinungen nicht“,

Die Gestaltung der Zukunft wird ohne ihn stattfinden. Jörg Schmadtke wird Privatier. Kommt er ohne den geliebten Sport, seinen bisherigen Lebensinhalt, aus? Er glaubt, dass er loslassen könne, weil er eine wichtige Voraussetzung dafür als erfüllt sieht: „Ich habe mir immer eine kritische Distanz bewahrt. Popularität und das Pseudo-Wichtigsein in der Öffentlichkeit haben mich nie interessiert.“

Vom 1. Februar an hat er einen neuen Boss – Ehefrau Andrea. „Sie wird ab jetzt die Planungen übernehmen, und das hat sie sich verdient“, sagte Schmadtke vor seinem Abschied von der großen Bühne der „SZ“, „wir wollen jetzt ein bisschen was von der Welt sehen.“

Ob er davon irgendwann genug hat? „Er geht in den Vorruhestand. Mal sehen, ob er das aushält“, sagt VfL-Coach Niko Kovac, „wenn ihm irgendwann mal langweilig wird – davon gehe ich aus – wird er sich sicher wieder etwas Neues suchen.“ Könnte tatsächlich passieren, sagt Schmadtke, „oder, viel schlimmer, dass meine Frau mich wieder rausjagt. Ich glaube es ehrlich gesagt aber nicht.“

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