Bayern München: Abgesoffener Wut-Motor
Der FC Bayern München wird im Pokal nach allen Regeln der Kunst gedemütigt und sucht fieberhaft nach Erklärungen. Tatsächlich gibt es ein paar Anhaltspunkte.
Mönchengladbach/München - Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Und so kursierten, kaum war ein denkwürdiges Pokal-Spektakel am späten Mittwochabend abgepfiffen, in dem der große FC Bayern München nach allen Regeln der Kunst vorgeführt, ja gedemütigt wurde, eine Menge Höhnisches auf den entsprechenden Plattformen. Gerne genommen: eine völlig zertrümmerte Kücheneinrichtung.
Damit wurde darauf angespielt, dass der an Covid-19 erkrankte und folglich in Quarantäne zu Hause am Chiemsee harrende Bayern-Trainer Julian Nagelsmann in seiner Küche, eigenen Worten zufolge, ein „Analysezentrum“ eingerichtet hat, dass er also zwischen Spüle, Mikrowelle und Herd sein Team coacht. Das hat zweimal bestens funktioniert, gegen den VfL Wolfsburg und Sporting Lissabon, jeweils 4:0, gegen entfesselt aufspielende Gladbacher aber nicht ganz, 0:5, so hoch haben die stolzen Bayern in ihrem Leben nicht im Pokal auf die Mütze gekriegt. Eine Schlappe in ähnlicher Größenordnung hatte der Klub letztmals vor 43 Jahren beim 1:7 gegen Fortuna Düsseldorf hinnehmen müssen.

Thomas Müller: „Wir wurden in der ersten Halbzeit zerpflückt von A bis Z“
Es war ein Abend am Niederrhein, den keiner so schnell vergessen wird, weder Sieger noch Gedemütigte, magisch, wundersam allemal. Es war ein Abend für die Geschichtsbücher, eine Lehrstunde in furiosem Fußball, schnell, direkt, atemraubend. Und es war ein Abend, in dem der einen wie im Rausch auftrumpfenden Mannschaft alles, der anderen überhaupt nichts gelingen sollte.
Bestes Beispiel war kurz vor Schluss der fast schon mitleidige Versuch eines Bayern-Spielers, ein Tor zu erzielen, als Thomas Müller im Bemühen aus dem Schussfeld zu kommen, sich genau in diesen Schuss warf.
„Wir wurden in der ersten Halbzeit zerpflückt von A bis Z“, sagte Müller hinterher, und dieser Satz war nicht mal richtig: Auch in der zweiten Halbzeit waren die Bayern nicht besser. Der FC Hollywood musste sich wie im falschen Film vorkommen, im Borussenpark wurde ein Gruselstreifen uraufgeführt.
Bayern München: Über Gründe lässt sich nur spekulieren
Wie also konnte so eine Abreibung passieren, wie konnte es zu solch einem „kollektiven Blackout“ kommen, wie Bayern-Sportvorstand Hasan Salihamidzic „absolut schockiert“ feststellte. Zumal ja in letzter Zeit nichts, aber auch gar nichts darauf hindeutete, dass die Bayern derart vorgeführt werden könnten – noch am Montag hatte Ehrenpräsident UIi Hoeneß von seinen „traumwandlerischen Bayern“ geschwärmt.
Sie zogen einsam ihre Bahnen, schossen 33 Tore in neun Partien, sammelten Punkte, national wie international, und selbst die 1:2-Heimniederlage gegen Eintracht Frankfurt war da kein Fingerzeig: In diesem Spiel hatten die Münchner, anders als am Mittwoch in Gladbach, kaum was falsch gemacht, sie waren nur an Pech und einem überragenden Torwart Kevin Trapp gescheitert.
Über die Gründe dieser 0:5-Packung lässt sich natürlich nur spekulieren, aber das eine oder andere Erklärungsmuster gibt es schon: Da ist zum einen das Fehlen des Trainer-Gurus Nagelsmann, dessen direkter Input an Linie oder in der Kabine in einer Spitz-auf-Knopf-Situation womöglich doch fehlte. Da mag die deutschlandweit leidenschaftlich geführte Diskussion um die Impfverweigerung von Joshua Kimmich, einer der Schlüsselspieler der Bajuwaren, vielleicht doch nicht spurlos an Spieler und Team vorbeigegangen sein. Schließlich dürfte auch das Hickhack um eine mögliche Gefängnisstrafe für Lucas Hernandez nicht gerade für Ruhe gesorgt haben.
Dazu kommt: Wer so schlecht verteidigt wie der 40-Millionen-Euro-Mann Dayot Upamecano, der gefühlt bei jedem Zweikampf gegen den an vier Treffern direkt beteiligten Breel Embolo den Kürzeren zog, zuweilen nach hanebüchenen Stellungsfehlern, der muss sich nicht wundern, wenn Manuel Neuer die Bälle nur so um die Ohren fliegen. Und dass die Borussia schlicht weit, weit über ihre Verhältnisse spielte, dazu ihre ersten Treffer zu einem perfekten Zeitpunkt erzielte, sollte ebenfalls nicht vergessen werden.
Der FC-Bayern-Wut-Motor geht nicht an
Der gefrustete Thomas Müller, der seinem Team empfahl, sich bei den eigenen Fans zu entschuldigen, lieferte zumindest einen Ansatz für den sensationellen Bayern-Absturz. „Wir haben nicht diesen Punkt gefunden, wo der FC-Bayern-Wut-Motor angeht“, sagte er. Es sei „von allen Beteiligten eine katastrophale Leistung“ gewesen: „So ein kollektives Versagen in so einem wichtigen Spiel habe ich noch nicht erlebt.“
„Wir müssen in den nächsten ein, zwei Tagen sicher mit Häme und Spott leben“, mutmaßte Ersatzchef Dino Toppmöller, auch er war zuletzt arg über den grünen Klee gelobt worden. Die Bayern werden Wunden lecken müssen, werden sich schütteln und eine Reaktion zeigen. „Man ist es von uns gewohnt, dass wir nach Negativerlebnissen eine Reaktion zeigen“, sagte Müller. Nach so einer historischen Klatsche ist das nicht einfach. „Normal ist man es von uns auch gewohnt, dass wir nach Rückständen anders reagieren“, so Müller.
Grundsätzliches, gar eine Krise an der Säbener Straße in München zu vermuten, wäre falsch; viele einmalige Konstellationen haben das 0:5 in Gladbach ermöglicht. Einen schlechten Tag sei auch dem FC Bayern zugestanden. Und Wiedergutmachung.
Am Samstag müssen sie übrigens dorthin, wohin sie nun im Mai nicht reisen, nach Berlin. Das mögliche Opfer: der 1. FC Union. (kil mit sid)