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„Abgekoppelt von allen anderen gesellschaftlichen Entwicklungen“

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Von: Frank Hellmann

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Fehlt es an Vorbildern: Christina Reinhardt, Aufsichtsrätin beim VfL Bochum.
Fehlt es an Vorbildern: Christina Reinhardt, Aufsichtsrätin beim VfL Bochum. © RHR-Foto/Imago

Zum Weltfrauentag präsentiert die Initiative „Fußball kann mehr“ eine Studie, die belegt, dass der deutsche Profifußball bei Frauen und Diversität noch immensen Nachholbedarf hat

Nach wie vor ist der deutsche Fußball eine absolute Männerdomäne. Anlässlich des Weltfrauentags präsentiert die Initiative „Fußball kann mehr“, die sich unter tatkräftigem Einsatz der Beiratsvorsitzendenden Katja Kraus im Mai 2021 zusammenfand, eine Studie mit einem wenig schmeichelhaften Zwischenfazit: „Frauen und Diversität sind im Fußballgeschäft weiterhin radikal unterrepräsentiert.“ Speziell auf Managementebene der Bundesliga und Zweiten Bundesliga scheint weiterhin kaum Platz für Frauen, die nur vier von 150 Führungspositionen besetzen.

Vor drei Jahren war die beim FC Schalke 04 für die Finanzen zuständige Christina Rühl-Hamers die einzige Frau in einem Führungsgremium. Ihr sind seitdem Anne-Kathrin Laufmann (Geschäftsführerin Nachhaltigkeit Werder Bremen), Anja Kasper (Geschäftsführerin Digitalisierung Union Berlin) und Petra Saretz (Vorständin Organisation und Lizenzierung FC Heidenheim) gefolgt, doch natürlich ist das immer noch viel zu wenig.

Axel Hellmann, Vorstandssprecher von Eintracht Frankfurt und interimsweise Geschäftsführer der Deutschen Fußball-Liga (DFL) verschweigt den Handlungsbedarf erst gar nicht: „Die Ergebnisse der Analyse lassen an der Notwendigkeit zur stärkeren Veränderung keinen Zweifel aufkommen. Auf Seiten der Klubs müssen größere Anstrengungen unternommen werden, Frauen in Leitungspositionen zu bringen. Dazu müssen wir unbedingt die Durchlässigkeit erhöhen, dieser Auftrag richtet sich an meinen Klub genauso wie an die DFL.“

Das fordert auch Tanja Gönner, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der deutschen Industrie und Aufsichtsrätin des VfB Stuttgart: „Der Anteil an Frauen in Führung in der Wirtschaft ist ein den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Es ist verwunderlich, dass sich der Profifußball bis heute dieser Entwicklung entzieht und sich damit vieler Möglichkeiten der Entwicklung beraubt.“

Selbst in den Aufsichtsräten sieht es aktuell mit einem Frauenanteil von rund zehn Prozent (39 Frauen und 367 Männer) nicht gut aus. 21 der 36 Lizenzvereinen haben keine einzige Frau im Kontrollgremium. Darüber kann auch Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg nur den Kopf schütteln. Als der Wahlausschuss von Fortuna Düsseldorf ihr Mandat im Aufsichtsrat bis 2024 verlängerte, freute sie sich darüber, „Kompetenz in der sportlichen Expertise“ einzubringen. Der FC St. Pauli hat gleich vier dieser sieben Positionen mit Frauen besetzt; Sandra Schwedler ist zugleich die einzige Aufsichtsratsvorsitzende. Sie ist genauso eine Ausnahme wie Nicole Kumpis, die vor einem Jahr zur Präsidentin beim Zweitligisten Eintracht Braunschweig aufstieg.

Christina Reinhardt, Kanzlerin der Ruhr-Uni-Bochum und seit 2022 im Aufsichtsrat des VfL Bochum findet es erstaunlich, „dass es im Jahr 2023 immer noch eine Branche gibt, die sich von allen anderen gesellschaftlichen Entwicklungen abgekoppelt hat“. Es brauche aber diese Role Models, „um insbesondere jüngere Frauen für eine Karriere im Fußball zu motivieren.“

Gegenüber 2016/2017 waren in den Geschäftsführungen und Vorständen der Klubs ein Fünftel mehr Posten zu vergeben, diese wurden allerdings nur zu zehn Prozent mit Frauen besetzt. In DAX-Konzernen werden solche Positionen aktuell zu 50 Prozent mit Frauen besetzt, heißt es in der Untersuchung des Doktoranden Matthias Dombrowski, der mit dem inmitten der großen DFB-Krise gegründeten Frauen-Netzwerk zusammenarbeitet.

Mit der inzwischen breit aufgestellten Initiative kooperiert neben den Bundesligisten Eintracht Frankfurt, Werder Bremen, VfB Stuttgart, VfL Bochum und Hertha BSC auch das Medienunternehmen Sky, das seitdem verstärkt Expertinnen bei den Übertragungen einsetzt. Die frühere Nationalspielerin Tabea Kemme ist fast schon so omnipräsent wie Lothar Matthäus – und nicht minder meinungsstark. Am Bildschirm bildet sich bereits eine Vielfalt ab, die es in anderen Bereichen (noch) nicht gibt. Immer noch besetzen ehemalige Männer-Profis ein Drittel der entscheidenden Position, obwohl sie nicht immer adäquat dafür ausgebildet sind.

DFB-Präsident Bernd Neuendorf betont gerne, dass inzwischen fünf Frauen ins DFB-Präsidium eingezogen seien, „es geht in die richtige Richtung“. Das steigende Interesse am Frauen- und Mädchenfußball werde sich „in den Strukturen abbilden“. Der Frauenanteil in Gremien und Führungsebenen soll bis 2027 mindestens 30 Prozent betragen, heißt es in der hausinternen Strategie „Frauen im Fußball FF27“.

Doch hat sich Katja Kraus, die zwischen 2003 und 2011 beim HSV als erste Frau im Vorstand arbeitete, gewaltig daran gestört, dass der nach der WM in Katar von Neuendorf zusammengeholte Beraterkreis ausschließlich aus Männern mit ähnlicher Vita bestand. Man sei wieder davon ausgegangen, „aus den Erfolgen der Vergangenheit zwangsläufig die richtigen Schlüsse für die Zukunft zu ziehen“.

Das aber stimme nicht. Längst sei belegt, dass diverse Teams bessere Ergebnisse liefern, innovativer sind und Risiken besser ausbalancieren. „Die aktuelle Ausstrahlung des Fußballs, fehlende Vorbilder, unzeitgemäße Karrierebilder und jüngste Entscheidungen, die die Geschlossenheit des Systems abbilden“, kritisiert sie, „ermutigen Frauen nicht dazu, Führungspositionen im Fußball anzustreben.“ Kraus fordert in einem männerdominierten System die Bereitschaft, „Macht und Kontrolle im Sinne der Sache abzugeben: Man(n) muss es nur wollen.“

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