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Frodeno: „Diese ewige Askese ist von vorgestern“

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Von: Frank Hellmann

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Über Hamburg nach Nizza: Jan Frodeno.
Über Hamburg nach Nizza: Jan Frodeno. © dpa

Ironman-Weltmeister Jan Frodeno über neue Wege im Triathlon, den Bruch der Dachorganisation mit dem Mythos Hawaii, den Umzug nach Andorra und seine Wettkampfplanung für 2023 Ein Interview von Frank Hellmann

Herr Frodeno, Sie leben inzwischen in Andorra statt in Girona. Wie kam es dazu?

Das hat vielfältige Gründe. In den vergangenen Jahren wuchs bei mir eine gewisse Unzufriedenheit durch die ausgefallenen Wettkämpfe, aber auch die Unzufriedenheit über meine Leistungen. Da habe ich mich selbst gefragt, was ich denn ändern muss. Und da kam ich dann auf einen Wechsel des Umfelds, um einerseits einen Stimulus zu generieren und andererseits wieder eine gewisse Ruhe zu bekommen. Wenn ich ehrlich bin, habe ich in Girona in der Pandemiezeit zu viele Sachen angezettelt. Jeden Tag war ziemlich viel Rummel, und sobald es irgendwo brannte, hat man mich angerufen, weil mich dort ja jeder kannte.

Sie wurden die Geister, die Sie dort auch mit dem gemeinsam mit ihrer Frau Emma betriebenen Café riefen, nicht mehr los?

Es war im Alltag einfach zu viel. Ich wurde dann von verschiedenen Leuten in Andorra angesprochen – was ja auch nur zwei Autostunden entfernt ist –, ob ich mir das nicht mal anschauen möchte.

Andorra bringt ja einige Eigenarten mit. Fühlen Sie sich in diesem kleinen Pyrenäen-Staat nicht eingezwängt?

Ich wohne oben auf dem Berg, insofern fühle ich mich schon frei (lacht). Die Sprache ist mit Katalanisch kein Problem, weil wir das aus Girona kennen. Dazu kommt Französisch, Spanisch und jeder spricht Englisch. Von den hier wohnenden 85 000 Menschen sind nur 25 000 Andorraner. Es ist also eine Community aus aller Welt. Für mich hat die Gegend beim Training ein bisschen was vom Rocky-Flair, gleichzeitig gefällt es meiner Familie.

Steuerlich ist es auch günstig.

Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, das ist kein netter Nebeneffekt. Das hat es natürlich zusätzlich interessant gemacht, aber alleine wäre das niemals ein Grund für einen Umzug.

Andorra liegt auf mehr als 1400 Meter. Sie waren bislang nicht dafür bekannt, als Triathlet auf Höhentraining zu setzen.

Hier wird gerade das höchste Trainingszentrum Europa auf 2500 Meter Höhe gebaut. Ich bin aber tatsächlich extrem schlecht in der Höhe und reagiere darauf extrem stark. Insofern gibt es einen Nutzen, den ich in meiner Karriere nie hatte. Das letzte Male habe ich vor den Olympischen Spielen 2012 in London eine Vorbereitung in der Höhe gemacht, was schiefgegangen ist. Heute ist es mit den technischen Hilfsmitteln leichter zu steuern und so von diesem Effekt zu profitieren.

Wo stehen Sie denn? Ist das Seuchenjahr 2022 mit kaputtem Fuß, Radsturz und entzündeter Hüfte abgehakt?

Seit Dezember kann ich im Training wieder Vollgas geben, und komme auch schon fast wieder an die früheren Laufumfänge heran. Ich habe wieder Spaß an der Bewegung und freue mich auf eine gute Saison.

Wo werden Sie starten? Challenge Roth hat kürzlich ein namhaftes Starterfeld mit ihrem Rivalen Patrick Lange vorgestellt, da war Ihr Namen nicht dabei.

Ich möchte in meinem letzten Jahr auf Höchstniveau den Kreis nochmal schließen – und dazu gehören verschiedene Rennen bei verschiedenen Veranstaltern. Ich möchte in Kalifornien beim Ironman 70.3 Oceanside im April beginnen: Das war schon oft mein Lieblingssaisonstart. Dann habe ich ein Rennen der PTO (die Professional Triathletes Organisation ist eine Interessensvertretung professioneller Triathleten, Anm. d. Red.) geplant, weil es aus meiner Sicht die konkurrenzstärkste Serie in diesem Jahr sein wird. Mein erstes Langdistanzrennen wird dann der Ironman Hamburg sein, wo diesmal die Europameisterschaft vergeben wird …

... womit Sie nicht beim Ironman Frankfurt starten.

Die Europameisterschaft in Frankfurt war für mich immer ein tolles Rennen, aber für mich ist Hamburg aus den Zeiten auf der Kurzdistanz noch ein emotionales Pflaster. Ich habe dort nie ein Einzelrennen gewonnen. Und dann auf zur Ironman-Weltmeisterschaft nach Nizza!

Wo eine sehr bergige Strecke mit 2400 Höhenmeter wartet.

Und alles, was hochgeht, fährt man auch wieder runter: Die Abfahrten sind technisch extrem anspruchsvoll. Da wird man viel Risiko gehen müssen, was mir immer viel Spaß gemacht hat. Die reine Kletterei ist nicht unbedingt meine Welt, aber dafür lebe ich ja jetzt in den Bergen. Es ist ein ikonisches Rennen, aber natürlich kein Hawaii. Aber ich nehme die neue Herausforderung auf meine alten Tage an.

Zur Person

Jan Frodeno , 41, ist der erfolgreichste deutsche Triathlet. Nach seinem Olympiasieg über die Kurzdistanz 2008 holte er sich auf der Langdistanz die Weltmeistertitel beim Ironman Hawaii 2015, 2016 und 2019. Hinter ihm liegt ein Jahr mit vielen Rückschlägen, nach dieser Saison möchte er seine Karriere beenden. Der in Köln geborene, in Australien aufgewachsene Frodeno ist mit der früheren Triathlon-Olympiasiegerin Emma Snowsill verheiratet. Das Paar hat zwei Kinder. FR

Die Ironman-Organisatoren haben kurz vor Weihnachten entschieden, dass Frauen und Männer nur noch abwechselnd alle zwei Jahren auf Hawaii starten. Sie haben wie viele daran harte Kritik geübt.

Ironman ist eine Marke, und eben auch ein Geschäft. Sie wollen Kohle machen! Tradition steht dem Wachstum manchmal im Wege. Was mich wirklich ärgert, ist ein Teil ihrer Argumentation: Da heißt es jetzt, die Frauen brauchen ein eigenes Rennen. Zwei Jahre vorher war es aber nicht mal möglich, den Frauen zusätzlich 15 Startplätze auf der Pier in Kona zu geben. Das kommt etwas scheinheilig rüber. Es geht mit diesem Modell nicht um Gleichberechtigung, sondern um Geld, weil mehr Startplätze für eine WM und auch für andere Rennen der Ironman Serie verkauft werden. Und würde das so offen kommuniziert, wäre das besser.

Warum schließen sich nicht Amateure und Profis zusammen und boykottieren die Ironman-Rennen?

Die Forderung gab es, und das wäre vielleicht auch die Chance der PTO gewesen, aber wie so oft bei einem Boykott wäre wohl auch hier der Boykottierende am Ende der Geschädigte. Nicht nur in den USA gibt es inzwischen immer mehr Menschen, die sich den Traum vom Ironman unbedingt erfüllen möchten. Boykottieren drei Amateure, stehen dafür mindestens ebenso viele Schlange. Ich bin zwar skeptisch, ob eine Weltmeisterschaft abseits von Hawaii wirklich für die Amateure so attraktiv ist und bleibt, aber Andrew Messick (Ironman-CEO, Anm. d. Red.) hat den Laden für mehr als eine halbe Milliarde verkauft bekommen, offenbar versteht er was von Business (lacht),

Kristian Blummenfelt und Gustav Iden haben im Vorjahr auf Hawaii neue Maßstäbe definiert. Ist da eine Generation unterwegs, bei der Sie staunen oder können Sie mithalten?

Das ist das Spannende für mich! Die beiden Norweger machen das mit ihrer hochwissenschaftlichen Methode beeindruckend, ergeben mit ihrem Trainer ein Dreamteam, vor dem man wirklich den Hut ziehen muss. Natürlich glaube ich dran, dass ich da noch mithalten kann, sonst würde ich es nicht probieren. Aber das wird ein hartes Stück Arbeit.

Müssen Sie eigentlich nicht auch schmunzeln, wenn Sie den Körperbau des Weltmeister Blummenfelt betrachten: Da sammelt sich reichlich Körpermasse an, oder?

Da erinnere ich mich an den früheren NOK-Präsidenten Dr. Klaus Steinbach, der über mich mal gesagt hat, dass ich niemals im Triathlon Erfolg haben werde, weil ich zu groß sei. Das war für mich ein Leitspruch der Karriere (lacht). Wir haben es bei Kristian Blummenfeldt mit einem Athleten zu tun, der eben kein Hungerhaken ist, sondern ein paar Kilo mehr auf die Waage bringt, aber dauerhaft sehr hohe Leistungen abliefert. Insofern hat er ein Dogma aufgebrochen. Offenbar hat es physiologisch etwas Positives, wenn der Körper mehr Kalorien zur Verfügung stellen kann. Wenn ich ehrlich bin, probiere ich das gerade für mich aus. Diese ewige Askese ist tatsächlich von vorgestern.

Und Sie wiegen jetzt auch drei Kilo mehr?

Es sind zwei, aber ich gebe mir Mühe, dass ich mich nicht mehr so sehr für die Waage interessiere, wie ich das schon mal getan habe (lacht).

Sie gönnen sich jetzt also auch mal Süßigkeiten am Abend?

Die Menge des Abendessens war bei mir schwer nach oben zu schrauben, aber ich bin im Training mit mehr Verpflegung unterwegs; nehme selbst bei einer lockeren Trainingseinheit immer kontrolliert Kohlenhydrate zu mir. Die nüchternen Einheiten sind passé.

Mit welchem Rennen werden Sie die Karriere beenden?

Nach Nizza wird es auf jeden Fall noch etwas geben, die PTO-Serie geht noch weiter. Ich werde sicherlich das Ganze noch ausklingen lassen auch bis ins Jahr 2024 hinein, aber nicht mehr mit den ganz großen Ambitionen.

Und welche Pläne gibt es danach?

Ich habe aus den letzten zwei, drei Jahren gelernt, dass ich gar keinen Plan machen muss. Das Café oder das Hotel haben mich von meiner Hauptaufgabe abgelenkt. Ich werde sicher mit Ryzon (Unternehmen für Sportbekleidung, an der Jan Frodeno und sein Manager Felix Rüdiger beteiligt sind, Anm. d. Red.) noch mehr machen, der Aufbau von neuen Events finden wir interessant, aber Konkretes gibt es noch nicht. Wo ich letztlich dieselbe Leidenschaft wie im Triathlon finde, dafür lasse ich mir noch Zeit.

Die Annahme ist sicher richtig, dass Sie sich weiterhin mit Schwimmen, Radfahren und Laufen fit halten.

Absolut. Das wird mich als Mensch genießbar halten. Sonst falle ich hinten runter.

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