1. Startseite
  2. Sport

Duell fürs Geschichtsbuch

Erstellt:

Von: Sebastian Moll

Kommentare

Taktgeber bei den Kansas City Chief: Patrick Mahomes.
Taktgeber bei den Kansas City Chief: Patrick Mahomes. © IMAGO/Icon Sportswire

Erstmals stehen sich im Super Bowl mit Patrick Mahomes und Jalen Hurts zwei schwarze Quarterbacks gegenüber. Das führt zur Kardinalfrage, wie rassistisch es im American Football immer noch zugeht.

Unter den erwarteten rund 100 Millionen Fans, die sich am kommenden Sonntag die Super Bowl anschauen, wird Doug Williams ganz zweifellos einer der entspanntesten sein. „Mir ist es relativ gleich, wie das Spiel ausgeht“, sagte der frühere Champion jüngst in einem Interview mit dem Sportportal „The Athletic“. „Ich habe jetzt schon gewonnen.“

Williams‘ Triumph-Moment kam bereits am vorletzten Sonntag, nachdem die Kansas City Chiefs den Sieg gegen die Cincinnati Bengals und somit ihren Finaleinzug klar gemacht hatten. „Ich muss gestehen, ich hatte Wasser in den Augen“, sagt der 67 Jahre alte 120 Kilo-Mann. Noch bevor er den Fernseher ausschaltete rief Williams seinen alten Kumpel „Shack Harris“ an und sagte nur drei Worte: „Wir haben zwei.“ „Ja, wir haben zwei“, erwiderte Harris während er ebenfalls mit den Tränen rang.

Die Rührung der beiden Männer entsprang einer historischen Begebenheit, die für sie beide eine tiefe persönliche Bedeutung hat. Doug Williams war der 1988 der erste schwarze Quarterback, der eine Super Bowl gewann. Shack Harris lief 1969 erstmals als schwarzer Quarterback in einer NFL Stammformation auf. An diesem Sonntag nun stehen sich mit Patrick Mahomes und Jalen Hurts erstmals in der NFL Geschichte zwei schwarze Quarterbacks in der Super Bowl gegenüber.

Doch die Freude für Williams, der noch immer als Berater in der NFL tätig ist, ist nicht ungetrübt. Die Tatsache, dass es 35 Jahre seit seinem Erfolg gedauert hat, bis zwei schwarze Quarterbacks im größten Spiel des Jahres auf dem Platz stehen, stimmt ihn nachdenklich. Gerade einmal elf der 32 Quarterbacks in der Liga sind derzeit schwarz. Der Gesamtanteil schwarzer Spieler beträgt hingegen 70 Prozent. „Mindestens die Hälfte der Quarterbacks müsste schwarz sein“, meint Williams.

Die Quarterback-Frage ist eine der Kernfragen in der Diskussion darum, wie rassistisch der Football Sport eigentlich noch ist. Obwohl die Mehrheit der Spieler Afroamerikaner sind, sind sie in Führungspositionen weiterhin deutlich unterrepräsentiert. Lediglich drei Cheftrainer sind schwarz. Sieben Afroamerikaner arbeiten als Manager bei den 32 Mannschaften. Auf einen schwarzen Teambesitzer wartet der Football-Sport weiterhin.

Dazu passt die Quarterback Diskussion. Der Quarterback ist immer der Leiter und Lenker auf dem Platz. Es ist also eine Führungsposition. Und die traut man bis heute nur begrenzt schwarzen Spielern zu. „So viele Jungs haben nie eine Chance bekommen“, sagt Doug Williams. „In der Liga herrschte immer die Mentalität – wir wissen nicht, ob ein schwarzer Mann uns anführen kann.“

Davon kann Jalon Hurts, die große Offenbarung dieser Saison, ein Lied singen. Schon seit seiner College Karriere muss er sich trotz seines überragenden Talents mit Misstrauen gegenüber seinen Führungsqualitäten herum schlagen. Im Finale um die College Meisterschaft im Jahr 2018 wurde er in der Halbzeit eingewechselt. Ein Affront, dem er mit bemerkenswerter Haltung begegnete. Und als die Eagles ihn 2020 rekrutierten, rebellierten die Fans und die Reporter in Philadelphia. Niemand traute ihm zu, die Kapitänsrolle auszufüllen. Erst in dieser Saison, die er wohl als MVP beenden wird, reiht sich langsam die Sport-Community von Philadelphia hinter ihm ein. Sein Jahresgehalt von einer Million Dollar ist für einen Spieler seines Kalibers jedoch noch immer ein Spott.

Die Quarterback-Frage im Football ist freilich eng an die Trainerfrage geknüpft. „Es gibt jetzt endlich eine junge Generation an Trainern, die Zutrauen in die Führungsqualitäten schwarzer Spieler haben“, meint Williams. Doch der Wandel ist zäh und noch lange nicht abgeschlossen.

So hat sich die NFL im Zuge ihrer Bemühungen, ihr tendenziell rassistisches Image aufzubessern, im Jahr 2021 selbst dazu verpflichtet, für jeden Trainer- oder Managerposten mindestens eine(n) Angehörige(n) einer Minderheit zur Vorstellung einzuladen. Gleich mehrere Trainer und Trainerkandidaten berichteten jedoch, dass die sogenannten Vorstellungsgespräche eine Farce seien. Die Besetzungen stünden lange vor diesen Pseudobewerbungen fest.

Eine ähnlich fragwürdige Figur machte die NFL jüngst bei der Auszahlung von Entschädigungen für ehemalige Spieler, die während ihrer Football-Karriere traumatische Hirnverletzungen erlitten. Bei der Überprüfung kognitiver Fähigkeiten, die über etwaige Ansprüche entscheiden sollte, wurden getrennte Maßstäbe für schwarze und weiße Spieler angelegt. Die Parameter, die von minderer geistiger Leistungsfähigkeit bei Afroamerikanern ausgehen, stammen aus dem Dunkel einer zutiefst rassistischen Ära. Praktischerweise sparten diese Tabellen der NFL jedoch auch einen Haufen Geld.

All das hinterlässt den Eindruck einer Liga, die sich gerade genug zu Fragen der sozialen Gerechtigkeit bekennt, um Medien und Werbepartner nicht zu verprellen aber möglichst nicht so sehr, um die vorwiegend weiße Anhängerschaft aus dem „Heartland“ zu verprellen. Einen Eindruck, den Kenner der NFL teilen.

So hat der Sportkolumnist Dave Zirin in seinem Dokumentarfilmüber die NFL „Behind the Shield“ eindrucksvoll den tief sitzenden systemischen Rassismus der NFL dargelegt, an dem auch „Social Justice“ Initiativen der Liga in der Folge des Black Lives Matter Moments vor zwei Jahren nichts ändern können. Seit in Amerika Millionen gegen den Mord an George Floyd protestierten, bemüht sich die Liga redlich, politisch aufgeklärt zu wirken. Man gibt Millionen für lokale Initiativen aus, „die tiefen sozialen Probleme der USA“ zu lösen. Es wird in großen Lettern „End Racism“ auf den Rasen geschrieben und die Halbzeit-Show der letzten Super-Bowl stand mit Snoop Dogg und Dr. Dre ganz im Zeichen der Hip Hop Kultur.

Zirin überzeugt das alles jedoch nicht sonderlich. „Das ist die alte „Zuckerbrot und Peitsche“ Taktik“, sagt er. „Die gibt es, so lange es Bosse und Arbeiter gibt.“

Zirin mag den in sauber abgesteckten Grenzen erlaubten Athleten-Aktivismus nur im Zusammenhang mit dem anhaltenden Berufsverbot für Colin Kaepernick sehen. Der schwarze Superbowl-Quarterback, der mit seinem Kniefall vor sechs Jahren eine globale Politisierung von Profi-Sportkern auslöste, findet bis heute keine Anstellung in der NFL. Zirin glaubt, dass er auf diese Weise einen unschätzbaren Wert für die Liga besitzt. „Er ist als mahnendes Beispiel unbezahlbar.“ Die Botschaft an die anderen Spieler ist: Ihr dürft Euch eine Parole auf den Helm schreiben, wenn ihr ansonsten brav seid. Wer sich hingegen zu weit aus dem Fenster lehnt, dem ergeht es wie Kaepernick.

Am systemischen Rassismus des Football-Sports ändert all das für Zirin nichts. An der grundlegenden Dynamik etwa, dass weiße Besitzer zur Erbauung vorwiegend weißer Fans vorwiegend schwarze Körper brutal aufeinander losgehen lassen, habe sich nicht wirklich grundlegend etwas gewandelt.

Darin ist der Football, die amerikanischste aller Sportarten, wahrhaftig ein Abbild der amerikanischen Gesellschaft. Im Kern ist die Attraktion des Sports nach wie vor die Gewalt. In seinen Ursprüngen im späten 19. Jahrhundert war der Football als Erziehungsmittel für junge Männer der Oberschicht gedacht, denen die Erfahrung des Bürgerkriegs und der gewaltsamen Eroberung des Westens fehlte. Im Footballsport sollten sie durch die Gewalterfahrung zu Männern werden. Der Preis dafür waren regelmäßige Todesfälle auf dem Feld.

Afroamerikaner waren bis nach dem Zweiten Weltkrieg weitestgehend von dem Sport ausgeschlossen. Die – trefflich rassistisch – „Redskins“ genannte Mannschaft aus Washington weigerte sich gar bis 1962 schwarze Spieler zu beschäftigen. Doch seither hat man entdeckt, dass die schwarzen Athleten dem Spektakel durchaus zuträglich sind. Man kann sich an der Gewalt, der beliebtesten Konfliktlösungsstrategie Amerikas, ergötzen, ohne dass weiße Körper in Gefahr geraten. Die Feldherrenposition, also die des Quarterbacks, bleibt hingegen nach Möglichkeit für weiße Spieler reserviert.

Die Frage, ob sich daran nun etwas geändert hat, weil am Sonntag zwei schwarze Quarterbacks auflaufen, ähnelt ein wenig der Frage, ob bei der Ermordung von Tyre Nichols in Memphis in der vergangenen Woche Rassismus im Spiel war, obwohl die Polizisten, die ihn tot geprügelt haben, Afroamerikaner waren. Das Spektakel der Gewalt bleibt das gleiche, die Institution ist ungeachtet der Akteure rassistisch.

Auf die Ermordung von Tyre Nichols hat die NFL derweil mit einem kurzen Statement des Bedauerns reagiert. Bei der Superbowl wird der Vorfall jedoch wohlnicht thematisiert. Es sei denn, die Spieler knien bei der Hymne nieder, wie das einst Colin Kaepernick tat. Es wäre jedoch eine Überraschung, in der NFL wird schon lange nicht mehr gekniet. Der einzige, der bei der letzten Super Bowl nieder kniete, war Eminem während der Halbzeit-Show. Die NFL gab hinterher großzügig bekannt, die Geste habe sie nicht weiter gestört.

Ebenso generös wird die Show vor dem großen Spiel an diesem Sonntag. An der Fliegerstaffel, die traditionell über dem Stadion die militärische Macht der USA demonstriert, nehmen weibliche Piloten teil, um den Beitrag von Frauen zum US-Militär zu würdigen. Weniger martialisch wird die Flugshow dadurch freilich nicht.

Quarterback bei den Philadelphia Eagles: Jalen Hurts.
Quarterback bei den Philadelphia Eagles: Jalen Hurts. © ZUMA Wire/Imago

Auch interessant

Kommentare