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Deutschland gegen die Schweiz: Geschichte einer Rivalität

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Von: Günter Klein

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Taugt in manchen Ländern zum Briefmarkenmotiv: Marcel Noebels trickst bei der WM 2021 den Schweizer Goalie aus.
Taugt in manchen Ländern zum Briefmarkenmotiv: Marcel Noebels trickst bei der WM 2021 den Schweizer Goalie aus. © Imago

Die Schweizer Eishockeyspieler gelten als hervorragend ausgebildet, aber sie scheinen ein Problem mit der Mentalität zu haben – vor allem, wenn es gegen Deutschland geht

Zu jedem der vergangenen drei schicksalsschweren Treffen zwischen Deutschland und der Schweiz im Eishockey gibt es bleibende Bilder und Geschichten.

2010 bei der WM lief Torhüter Dennis Endras mit einer überdimensionierten Deutschland-Fahne eine Ehrenrunde auf dem Eis der Mannheimer Arena, in der das Viertelfinale stattgefunden hatte. 1:0, ein Torhütersieg.

2018 bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang ging es um den Einzug ins Viertelfinale. Nach neun Sekunden nahm der Schweizer Cody Almond Deutschlands Starverteidiger Christian Ehrhoff mit einem Ellbogencheck gegen den Kopf vorübergehend aus dem Spiel. Ein Skandalfoul, das das Team des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) mit einem Sieg in der Verlängerung beantwortete: Yannic Seidenberg traf nach 26 Sekunden Overtime zum 2:1 – und trat die Welle los, die seine Mannschaft bis zur Silbermedaille trug.

Schließlich 2021, WM in Riga, die mit den Corona-Restriktionen: Nur wenige Zuschauer im Stadion, die Mannschaften abgeschottet in einer Hotel-Bubble. Wieder ein Viertelfinale. Die Schweiz führt 2:0, Deutschland gleicht durch Tom Kühnhackl und in letzter Minute durch Leon Gawanke aus, und das Penaltyschießen entscheidet der Berliner Marcel Noebels mit einem Kunstschuss, wie es ihn in Schweden, diesem Eishockey-first-Land, als Briefmarkenmotiv gibt.

Drei K.o.-Spiele, drei deutsche Siege, dreimal Schweizer Frust – das sind die Vorzeichen für das Viertelfinale 2023 in Riga (Donnerstag, 15.20 Uhr, Sport1 und MagentaSport). Gawanke und Noebels, diese frechen Jungs, sind wieder am Start, ebenso Torhüter Mathias Niederberger, den man vor zwei Jahren den „Kraken von Riga“ nannte. Man hofft auf deutscher Seite, dass diese Erinnerungen bei den Eid- und Eisgenossen wirken werden.

Denn das ist das etablierte Bild von den Schweizern: Sie mögen besser ausgebildet sein als die Deutschen, doch wenn’s drauf ankommt, sind sie im Kopf schwächer. Weil sie von der Historie einer Rivalität blockiert werden, die für beide Seiten die vorherrschende ist.

Dabei verstehen sich Schweizer und Deutsche verbandsseitig im Grunde prächtig. Die geografische Nähe bedingt es, dass man sich ab dem Nachwuchs ständig über den Weg läuft. Man lädt sich gegenseitig zu den U 15, U 17, U 18-Turnieren und so weiter ein. Und auch in der A-Länderspiel-Geschichte ist es die häufigste Paarung. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren es – wie auch im Fußball – die Schweizer, die sich auf die Deutschen als Erste wieder einließen.

Doch auf dem Eis bewirkt die enge Verbindung der Verbände das Gegenteil. „Das ist der Gegner, auf den du am häufigsten triffst, mit dem du dich jedes Jahr in deiner Entwicklung vergleichst“, sagt der frühere Nationalspieler und heutige Eishockey-Erklärer im Fernsehen, Rick Goldmann. So festigen sich dann auch mal Feindschaften. Und es kracht öfter.

Ein richtiger Austausch kommt außerhalb der Länderspielebene kaum zustande. Jetzt aber wenigstens etwas mehr als früher. Dominik Kahun spielt seit zwei Jahren für den SC Bern, „die Stadt und der Verein sind toll“, sagt er. Er kommt nicht an sein früheres NHL-Gehalt heran, doch die Stars wie er verdienen in der Schweizer National League schon mal an die 600 000 Euro pro Saison – in der DEL ist bei 200 000 netto das Ende der Fahnenstange erreicht. Kahun, der die erste DEB-Sturmreihe anführt, kennt den Viertelfinalgegner also aus eigenem Erleben. Marc Michaelis aus Mannheim begeisterte bei den Langnau Tigers und wechselt nun innerhalb der Schweiz zum EV Zug – er fehlt jedoch verletzt im deutschen WM-Team. Verteidiger Tobias Fohrler (Ambri-Piotta) schaffte den letzten Cut vor der WM nicht. Umgekehrt: Es gibt keinen Schweizer, der für einen DEL-Klub spielt. Finanziell reizlos.

Was früher in den deutsch-schweizerischen Beziehungen war: Der große Erich Kühnhackl (72) aus Landshut hat mal in der Schweiz gespielt, eineinhalb Jahre für den EHC Olten, da war er schon Mitte dreißig; der Tölzer Hans Zach (74), der in Deutschland dreimal Meister als Trainer geworden war, versuchte sich 1997/98 am komplizierten Zürcher SC und überstand nur fünf Monate. Er bilanzierte: „Die Spieler sind gut ausgebildet, aber ihre Mentalität ist eine Katastrophe.“

In diesem Bereich haben die Schweizer aber definitiv aufgeholt: In ihrem WM-Team stehen sieben Spieler aus der NHL, in Verteidiger Roman Josi (32, Nashville Predators) haben sie ihren für ihr Nationalteam kaum mehr greifbaren Weltstar der Kategorie Leon Draisaitl bei den Deutschen. Josi war an den größten Erfolgen der Schweiz beteiligt: Vizeweltmeister 2013 und 2018. Turnusgemäß wäre für die Schweizer 2023 wieder das Erreichen des Finales fällig.

Dies will Harold Kreis verhindern. Der neue Bundestrainer der deutschen Mannschaft kennt sich drüben aus, er feierte seine größten Erfolge als Vereinscoach in der Schweiz. In Deutschland hatte er nur Assistentenstellen in der DEL und kurz einen Chefposten in der zweite Liga gehabt (Bad Nauheim), als er sich 2002 in die Schweizer Berge verabschiedete. Beim HC Davos arbeitete er vor allem im Nachwuchs, der Sprung nach oben glückte ihm, als er 2006 während der Viertelfinals vom HC Lugano als Feuerwehrmann verpflichtet wurde und die Schweizer Meisterschaft gewann. Zwei Jahre später holte er seinen zweiten Titel mit dem Zürcher SC. Von 2014 bis 18 schlug er beim EV Zug auf.

Den EV wiederum kennen die sechs EHC-München-Spieler im deutschen Kader ganz gut. Er war ihr Gegner im Achtelfinale 2022/23 der Eishockey-Champions-League. Sie verloren Hin- und Rückspiel 1:5. Unterm Strich ein 2:10 also. Das ist der noch frische Erinnerungsschatz der fünf Zuger in der „Schwyzer Nati“.

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