Ja, ich glaube, dass Otto Rehhagel aufgrund seiner Persönlichkeit auch heute Erfolg haben würde. Natürlich war es damals eine andere Zeit, weil der mediale Fokus noch nicht so groß war und es weniger Verpflichtungen drumherum gab. Früher wie heute ist es aber enorm wichtig, die Jungs zu begeistern, sie mitzunehmen. Das hat Rehhagel verstanden.
Sind Sie denn froh, Anfang des Jahrhunderts Profi gewesen zu sein?
Auf jeden Fall, weil der Fokus stärker auf dem Platz lag. Da hat es nicht interessiert, ob jemand mit einer Strubbelfrisur, Glatze oder roten Haaren gekickt hat. Ich bin froh, dass ich diese Zeit miterleben durfte.
Eine Zeit, in der es gefühlt auf dem Fußballfeld rauer zur Sache ging als heute, in der es mehr Typen, Anführer, Leitwölfe gab. Sehen Sie das auch so?
Damals waren die Hierarchien brutal, manchmal auch zu brutal, weil junge Spieler überhaupt nicht beachtet wurden. Zum Beispiel in der Kabine, da saßen die jungen Spieler auf der einen und die älteren auf der anderen Seite. Da wurde nicht viel miteinander kommuniziert. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ein junger Dachs mal beim Essen mit den erfahrenen Profis am Tisch saß. Auf der anderen Seite hat es manchem Jungprofi geholfen, sich sein Standing hart erarbeiten zu müssen. Ich denke, am besten ist der Mittelweg.
Sie sprechen es an, nicht selten wird angemahnt, dass eine etwas härterer Hand für Talente nicht schaden würde. Dass es auch mal helfen würde, wieder die Schuhe der älteren Profis zu putzen, um Demut und Respekt zu lernen.
Die Jungs werden früh in den Nachwuchsleistungszentren ein Stück weit auf Komfortzone getrimmt. Da kann der eine oder andere schon auf den Gedanken kommen, dass das nicht nur im Fußball so ist, sondern auch das Leben so spielt. Und plötzlich bekommt dann ein A-Jugendlicher, der alle Junioren-Nationalteams durchlaufen hat, gesagt, dass es für ganz oben nicht reicht, dass er vielleicht nur Regionalliga spielen kann, oder noch tiefer. Dann kann es sein, dass er Probleme hat, sich im Leben abseits des Fußballs zurechtzufinden.
Darmstadt 98 mit seinem altehrwürdigen Stadion am Böllenfalltor ist nicht gerade dafür bekannt, ein Verein mit einer großen Komfortzone zu sein. Das dürfte ja dann Ihrem Verständnis entsprechen?
Darmstadt 98 steht für etwas, was mich besonders gereizt hat. Diese DNA des Vereins, gemeinsam hart zu arbeiten, nichts geschenkt zu bekommen, von der Geschlossenheit zwischen Mannschaft, Klubführung und Fans zu leben, das passt zu mir als Trainer. Ich hätte diesen Job im Februar nicht angenommen, wenn ich kein gutes Gefühl dabei gehabt hätte. Ich war nicht davon gelenkt, einfach irgendeinen Klub zu haben. Für mich war wichtig, wenn ich den Schritt aus dem Nachwuchs- in den Herrenbereich mache, davon voll überzeugt zu sein.
Welche waren Ihre Schlagworte beim Gespräch mit Sportdirektor Carsten Wehlmann? Ging es da eher um Ihre kurzfristige Herangehensweise im Abstiegskampf oder langfristige Planungen?
Die Langfristigkeit war nicht so ein großes Thema, weil man das im Fußball eh kaum planen kann. Es geht um Kurz- und Mittelfristigkeit. Wichtig war uns beiden, dass die Mannschaft künftig in einer Art und Weise Fußball spielt, wie der Verein und ich uns das vorstellen.
Wie sieht diese Art und Weise des Fußballs aus?
Kurzfristig ging und geht es trotz des Sieges in Magdeburg immer noch nur um den Klassenerhalt, in solchen Situationen müssen auch Kompromisse her. Aber ich denke, dass man auch jetzt schon sieht, wie ich mir das fußballerisch vorstelle. Wir versuchen, mutig zu agieren, spielerische Lösungen zu kreieren, dazu aber auch eklig gegen den Ball zu arbeiten. Das wollen wir in Zukunft so fortsetzen.
In Bochum waren Sie vorher hauptsächlich Nachwuchstrainer. Kann das bedeuten, dass Darmstadt 98 künftig vermehrt auf jüngere Spieler setzt?
Ich bin kein Freund davon, alles zu pauschalisieren, dass junge Spieler den Erfolg bringen und ältere nicht mal mehr laufen können. Eine gute Mischung ist wichtig. Und dass man Spieler hat, die Mentalität mitbringen.
Da wären wir wieder beim Thema Hierarchien. Einer Ihrer Vorgänger in Darmstadt, Torsten Frings, sagte einmal im FR-Interview, dass der Trainerjob heutzutage leichter sei als früher. Er argumentierte so: Wenn elf Menschen zusammen rudern, ist es für den Steuermann leichter. Können Sie diesem sprachlichen Bild folgen?
Ich kann auf jeden Fall folgen. Die Frage ist nur, wer denn den Takt vorgibt. Als Trainer habe ich während eines Spiels nur begrenzten Einfluss darauf. Also muss es Jungs auf dem Rasen geben, die das lenken. Das können keine elf Spieler, sondern müssen zwei, drei sein. Junge Spieler werden schnell gehypt, in den Himmel gelobt, aber ein 20-Jähriger kann nicht immer sofort Leistungsträger, Heilsbringer sein. Ich glaube schon, dass es erfahrene Profis geben muss, die das Kommando haben.
Wie war das für Sie, als Sie mit 19 Jahren zum Hamburger SV gewechselt sind, einem Klub mit viel Tradition, einem großen Umfeld?
Es war sehr spannend, denn ich kam aus dem beschaulichen Uerdingen. Ich hatte zwei Jahre vor meinem Wechsel noch Anthony Yeboah als Aufkleber auf meiner Mappe drauf, dann stand ich plötzlich gemeinsam mit ihm in der Kabine. Das war schon komisch für mich. Es gab in dieser Zeit viele Persönlichkeiten im Kader: Yeboah, Niko Kovac, Harald Spörl, Andreas Fischer, Thomas Doll – das waren abgezockte Profis, herausragende Persönlichkeiten.
Hat einer wie Yeboah mit Ihnen geredet?
Am Anfang waren diese Spieler natürlich distanziert, für mich waren das Fußballer aus einer anderen Welt, die ich vorher nur von Postern kannte. Was Yeboah mit dem Ball machen konnte, unglaublich, das waren ja fast immer Tore des Jahres. Aber was ich gut fand: Wenn diese Spieler gesehen haben, dass man sich durchbeißt, dann hat man auch Halt von ihnen gespürt. Das hat mich geprägt.
Inwiefern?
Trotz ihres Alters und ihrer Erfolge waren sie immer gallig, heiß. Wenn wir im Training zum Beispiel Vier-gegen-vier gespielt und verloren haben, dann hatte man Angst in die Kabine zu kommen, dass da einem plötzlich der Schuh gegen den Kopf fliegt. Diese Spieler konnten nicht verlieren. Diesen Siegeswillen möchte ich auch als Trainer vorleben.
Und dennoch gehören Niederlagen zum Alltag. Wie gehen Sie damit um?
Das fällt mir sehr schwer, es dauert immer bis zum freien Tag, um Niederlagen zu verdauen. Für mich ist der Ausgleich wichtig, meine Familie, meine Frau, meine Kinder, da kann ich abschalten.
Später, mit 22, wechselten sie nach Kaiserslautern und spielten fünf Jahre am Betzenberg. Welche Erinnerungen haben Sie an den FCK?
Auch dort hatten wir viele Persönlichkeiten. Mario Basler, Youri Djorkaeff, Miroslav Klose, Harry Koch – es war eine gestandene Mannschaft mit Superstars. Aber auch ich war kein absoluter Nobody mehr, hatte mir in Hamburg ein gewisses Standing erarbeitet. Auch hatte ich diese Mentalität, diese Gier verinnerlicht. Es war eine schöne Zeit mit sportlichem Erfolg.
Wie war der Übergang vom Spielerdasein zum Trainer?
Ich war schon als Spieler sehr am Trainerjob interessiert. Vielleicht weil ich als zentraler Mittelfeldspieler bereits viel mitdenken musste. Das Ende der aktiven Karriere fiel mir deshalb leicht, weil ich auf die neue Aufgabe gespannt war. Und bei meiner letzten Station, bei Bochums Reserve, war ich am Ende ja quasi ein spielender Co-Trainer.
Am Sonntag geht es gegen Bochum, Ihren Ex-Verein, bei dem Sie erste Erfahrungen im Trainerbereich gesammelt haben. Das ist schon ein besonderes Spiel, oder?
Auf jeden Fall, ich hatte dort schöne sieben Jahre. Der VfL ist ein toller Verein. Ich freue mich auf das Wiedersehen.
In Bochum haben Sie auch Ihren jetzigen Co-Trainer Iraklis Metaxas kennengelernt, er war damals Ihr Coach bei der VfL-Reserve. Nun sind Sie der Chef, er der Assistent. Ein Problem?
Nein, nein. Ich war schon damals sehr erfahren, 34 Jahre, und wurde von ihm nicht mehr richtig als Spieler gesehen, sondern eher als heranwachsender Trainerkollege. Er wusste genau, dass er mir nicht mehr beibringen musste, wie ich den Ball zu schlagen haben.
Wie würde der Trainer Grammozis mit dem Spieler Grammozis klarkommen?
Jetzt darf ich nichts Falsches sagen (lacht).
Das sagt eigentlich schon alles.
Ich war auf dem Platz sehr fordernd, wollte immer trainieren, immer gewinnen.
Sie hätten also mit sich als Spieler viel Spaß?
Auf jeden Fall, weil das ein überragender Spieler wäre (lacht). Nein, im Ernst: Ich denke, wenn man Jungs hat, die immer mit Lust dabei sind, dann hat man auch als Trainer Spaß.
Und wenn es mal im Training verbal knallt, gehört das auch dazu?
Klar, das gehört dazu, wir sind ja nicht im Kindergarten.
Ist eine ausgeprägte Streitkultur wichtig?
Eine gewisse Reibung gehört dazu, um neue Reize zu setzen. Manchmal muss man als Trainer auch das Gespür haben, mal etwas laufen zu lassen, damit die Jungs es unter sich regeln. Es darf aber nie böswillig sein. Der Rivale wartet am Wochenende, nicht in der Mannschaft.
Interview: Daniel Schmitt und Jakob Böllhoff