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Bora-Sportchef Zemke: „Kämna ist ein Freigeist auf dem Rad“

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Von: Jörg Hanau

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Jens Zemke.
Jens Zemke. © IMAGO/Hartenfelser

Jens Zemke, Sportlicher Leiter bei Bora, über ein enttäuschendes Frühjahr und die Aussichten beim Giro d’Italia.

Herr Zemke, die Frühjahrssaison ist vorbei und ihr Team Bora-Hansgrohe fuhr bis zum Radklassiker Eschborn-Frankfurt meist hinterher. Was ist los?

Wir sind in der Weltrangliste Platz 13 oder 14. Das ist nicht unser Anspruch. Wir wollen schon unter die ersten Fünf.

Angesichts der finanziellen wie personellen Ausstattung gehört das Team auch dort hin...

...wir haben viele Projekte am Laufen. Wir sind dabei, viele junge Fahrer zu integrieren, dazu sind Leistungsträger wie Max Schachmann, Sam Bennett oder Bon Jungels ausgefallen. Das schlägt dann doch richtig durch.

Reicht das schon als Erklärung?

Es gibt keine Pauschalerklärung für das Team, sondern wir müssen immer individuell schauen. Dazu kommt, dass Fahrer immer wieder einspringen mussten, die eigentlich für andere Rennen vorgesehen waren. Du kannst die Jungs dann nicht mehr auf ihre individuellen Highlights optimal vorbereiten, weil sie ständig irgendwo einspringen mussten. Dadurch gerätst du in solch einen Strudel.

Wie kommt man aus solch einer Abwärtsspirale heraus?

Ich bin kein Freund von Druck. Die Leute wissen, dass sie sich selbst schaden, einige fahren schließlich auch um einen neuen Vertrag - egal ob bei uns oder in einem anderen Team.

Am kommenden Samstag beginnt mit dem Giro d’Italia die Rundfahrtsaison. Im vergangenen Jahr gewann Jai Hindley für Bora die Italien-Rundfahrt...

Zur Person

Jens Zemke (56) ist seit 2017 Sportlicher Leiter im deutschen World-Tour-Team Bora-Hansgrohe. Der ehemalige Radprofi gewann in seiner aktiven Zeit dreimal die deutsche Bergmeisterschaft.

...diesmal versuchen wir es mit der Doppelspitze Alexander Wlassow und Lennard Kämna. Das mindert den Stresslevel. Beide haben unser volles Vertrauen.

Ist die Titelverteidigung beim Giro für Ihr Team realistisch?

Wenn man sieht, wie Remco Evenepoel bei Lüttich-Bastogne-Lüttich mit dem Feld gespielt hat, dazu Primoz Roglic - das wird schwierig. Die zwei sind bei den Experten ganz vorne. Aber unser Ziel muss es sein, unter die Top fünf zu kommen. Das ist nicht utopisch.

Lennard Kämna ist ein riesiges Talent, er will nun den nächsten Schritt gehen in seiner Karriere und ist erstmals Kapitän bei einer großen Rundfahrt. Trauen Sie ihm schon jetzt den ganz großen Wurf zu? Oder muss er erstmal Erfahrung sammeln?

Beim Giro kommt es darauf an, wie gut ich in der dritten Woche bin. Dann geht es über die Drei Zinnen, und es folgt ein schweres Zeitfahren. Selbst wenn einer da mit drei Minuten führt, ist er noch lange nicht durch. Lennard ist gut drauf und konnte im Frühjahr schon Selbstbewusstsein tanken. Es läuft alles in die richtige Richtung. Ihm muss man gewisse Freiheiten geben. Er ist ein Freigeist auf dem Rad.

Kämna befeuert die Fantasie vieler Radsportfans, auf seinen Schultern liegen große Hoffnungen. Das gab es schon einmal bei Bora: Emanuel Buchmann galt nach seinem vierten Platz bei der Tour de France 2019 als großes Versprechen für die Zukunft. Dieses konnte er aber nie einlösen.

Wir dürfen nicht vergessen, dass Emu im vergangenen Jahr beim Giro Siebter geworden ist. Das wurde kaum gewürdigt, weil der Sieg von Bora alles überstrahlte.

Und doch, die vergangenen Jahre liefen für ihn nicht so wie erwartet, oder?

Das ist wahr. Er investiert unheimlich viel, aber der Radsport hat sich in den vergangenen Jahren weiterentwickelt. Es kommen neue Talente, hungrige Fahrer. Vielleicht müssen wir ihn taktisch einfach mal anders einstellen, er muss mehr Risiko, mal auf einen Etappensieg gehen. Lieber mal eine Etappe gewinnen als auf die Gesamtwertung schauen.

Interview: Jörg Hanau

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