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Wieder ein Skandal im Fußball: Ultras empören mit antisemitischem Graffiti

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Von: Mirko Schmid

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Steven Berghuis: Der niederländische Nationalspieler ist seit seinem Wechsel zum Konkurrenten Ajax Amsterdam ein rotes Tuch für viele Feyenoord-Fans.
Steven Berghuis: Der niederländische Nationalspieler ist seit seinem Wechsel zum Konkurrenten Ajax Amsterdam ein rotes Tuch für viele Feyenoord-Fans. © Kenzo Tribouillard/afp

In Rotterdam sorgen selbsternannte Fans des Fußballclubs Feyenoord für landesweite Empörung. Grund dafür ist ein antisemitisches Graffiti gegen Ajax-Neuzugang Berghuis.

Rotterdam – Antisemitische Tiraden sind im Fußball keine Ausnahme. In den Kurven vieler Proficlubs gehört „Jude“ als Schimpfwort noch immer zum Repertoire. Auch wenn solcherlei judenfeindliche Anwandlungen heutzutage gerade von Ultra-Gruppierungen verurteilt und bekämpft werden, bleiben Antisemitismus und Rassismus latente Probleme in den Blöcken der Hardcore-Fans weltweit. Eine neues Beispiel dieser geschichtsvergessenen Unkultur lieferten wohl nun selbsternannte Anhänger des niederländischen Traditionsclubs Feyenoord Rotterdam.

Ein Graffiti im Rotterdamer Stadtteil Crooswijk nämlich zeigt den ehemaligen Feyenoord-Kapitän Steven Berghuis in KZ-Häftlingskleidung, mit Kippa und Judenstern. Neben dem für viele Beobachter unerträglichen Gemälde steht der Spruch „Juden laufen allzeit weg“ geschrieben. Feyenoord regierte umgehend, ein Vereinssprecher nannte antisemitische Beleidigungen „ekelhaft“ und distanzierte sich im Namen des Clubs „von dieser Art der Äußerung“.

Eine mögliche Erklärung für den antisemitischen Ausfall der Urheber ist wohl darin zu finden, dass Berghuis, in der Vorsaison mit 18 Toren und 14 Vorlagen herausragender Feyenoord-Akteur in der Eredivisie, seine Fußballschuhe ab sofort für den niederländischen Rekordmeister Ajax Amsterdam schnüren wird.

Häufig Ziel von Antisemitismus: Ajax Amsterdam verfügt über jüdische Tradition

Damit vollzieht der Nationalspieler einen Vereinswechsel, der für viele Feyenoord-Anhänger geradezu einen Frevel darstellt, schließlich sind sich die Anhänger der Großclubs aus Amsterdam und Rotterdam spinnefeind. Dass als Ausdruck der Verachtung für einen ehemaligen Publikumsliebling, der zum ungeliebten Rivalen wechselt, ausgerechnet in Antisemtismus Bahnen schlägt, liegt in der Tradition des niederländischen Rekordmeisters begründet.

Ajax Amsterdam nämlich verfügt über eine reichhaltige Geschichte jüdischen Einflusses auf den Verein, seine Fans und das nähere Umfeld. Ehemalige Spieler wie Sjaak Swaart und Bennie Muller gelten als Vereinsikonen, mit Jaap van Prag, Michael van Prag und Uri Coronel hatte Ajax gleich drei Präsidenten jüdischen Glaubens. Dazu kommt Physiotherapeut Salo Muller, der als Kind die Shoa überlebte und unter Spielern wie Fans Kultstatus genießt.

Vor Beginn des Zweiten Weltkriegs lebten rund 80.000 jüdische Menschen in Amsterdam, die meisten im zentral gelegenen Stadtviertel Jodenbuurt. Dem Spiegel gegenüber beschrieb Hans Knoop, Journalist und Sprecher einer Stiftung, die sich mit Antisemitismus im niederländischen Fußball beschäftigt, es so: „Wenn Ajax Heimspiele gegen Clubs aus der Provinz hatte, fuhren die Gästefans üblicher Weise vom Hauptbahnhof mit der Straßenbahn zum Stadion und durch das jüdische Viertel. So sahen viele Menschen zum ersten Mal in ihrem Leben Juden.“

Antisemitismus gegen Ajax Amsterdam: Gegenspieler spricht von „Judenjagd“

Große Teile der Bevölkerung Amsterdams sind stolz auf das jüdische Erbe der Stadt, die nicht selten als „Jerusalem des Westens“ bezeichnet wurde. Als in den 1970er Jahren vermehrt antisemitische Parolen gegen Ajax Amsterdam aus den Kurven drangen, reagierte die Hooligan-Gruppe „F-Side“ mit einem demonstrativ jüdischen Image und machten Anfeuerungsrufe wie „Superjuden!“ salonfähig. Noch heute sei die Vereinigung aktiv, so Knoop, sei allerdings nicht besonders an Solidarität mit Israel oder dem Judentum interessiert: „Rund 90 Prozent der Ajax-Fans wissen nicht einmal, wo Israel ist. Wenn sie ‚Juden, Juden‘ oder ‚Superjuden‘ skandieren, geht es ihnen darum, das Team anzufeuern und um sonst nichts.“

Und da der niederländische Rekord- und Serienmeister sportlich in der Regel nur sehr wenig Angriffsfläche liefert, greifen Anhänger gegnerischen Clubs nicht selten zu plattem Antisemitismus, um die Ajax-Fankurve zu provozieren. Regelmäßig skandieren etwa einige Feyenoord-Anhänger „Hamas! Hamas! Juden ins Gas“.

VereinDer Amsterdamsche Football Club Ajax, kurz AFC Ajax
LigaErendivisie
StadionAmsterdam-Arena
Kapazität55.500
PräsidentHennie Henrichs
TitelNiederländischer Meister (35 Titel)
Niederländischer Pokalsieger (20 Titel)
Europapokal der Landesmeister/Champions League (1971, 1972, 1973, 1995)
UEFA-Cup (1992)
Europapokal der Pokalsieger (1987)
Weltpokal (1972, 1995)

Der unterschwellige bis offene Antisemitismus gegenüber Ajax Amsterdam greift beizeiten gar von den Kurven aufs Spielfeld über. 2011 etwa wurde Lex Immers, seinerzeit Spieler bei ADO Den Haag, für fünf Spiele gesperrt, weil er im Anschluss an einen Sieg über Ajax einen antisemitischen Fangesang angestimmt hatte. Von Judenjagd war da die Rede, siegestrunken stimmten etliche ADO-Fans und einige Mannschaftskollegen mit ein.

Auch in Deutschland: Antisemtismus im Fußball an der Tagesordnung

Doch nicht nur in den Niederlanden kommt es immer wieder zu antisemitischen Ausfällen. Für Mitglieder dezidiert jüdischer Clubs wie dem TuS Makkabi Frankfurt etwa gehört es beinahe zum Alltag, dass sich schon die Jüngsten während der Spiele von Jugendmannschaften judenfeindliche Sprüche und Beleidigungen anhören müssen. Und in Zeiten, in denen die Offenbacher Kickers noch nicht in den Niederungen der Unterklassigkeit herumdümpelten, schmähten Teile der Anhängerschaft den verhassten Rivalen Eintracht Frankfurt häufig lautstark als „Judenclub“.

Das Land Niedersachsen, der jüdische Weltkongress sowie die Gedenkstätte Bergen-Belsen sahen sich kürzlich dazu veranlasst, einen Leitfaden mit Handlungsempfehlungen gegen Antisemitismus im Fußballumfeld zu veröffentlichen. „Wer im Sport Judenfeindlichkeit wahrnimmt, der muss dagegen einschreiten. Das gilt für Lieder in der Fankurve genauso wie für dumme Sprüche im Vereinsheim“, erklärte Niedersachsens Justizministerin Barbara Havliza zur Veröffentlichung der Broschüre. (Mirko Schmid)

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