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21. Grand-Slam-Titel: Nadals unglaublicher Entfesselungsakt

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Von: Jörg Allmeroth

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Siegergrinsen: Rafael Nadal.
Siegergrinsen: Rafael Nadal. © AFP

Rafael Nadal gewinnt in einem Finaldrama die Australian Open und ist mit 21 Siegen alleiniger Grand-Slam-Rekordhalter.

Seit er mit 19 Jahren als zupackender Debütant erstmals die French Open gewann, hat Rafael Nadal immer wieder die Tennis-Geschichtsbücher umgeschrieben und Bestleistungen pulverisiert. Er machte Roland Garros zu seinem roten Paradies, er gewann alle Grand-Slam-Turniere, er wurde neben Roger Federer und Novak Djokovic zum größten Spieler der Goldenen Epoche seines Sports.

Superlative sind schnell und zuverlässig gefunden bei Nadal, dem unverwüstlichen Gladiator der Centre Courts – aber dennoch: Seinen allergrößten und unwahrscheinlichsten Sieg, sein eindrucksvollstes Comeback überhaupt in mehr als anderthalb Jahrzehnten im Wanderzirkus feierte der legendäre Mallorquiner in der denkwürdigen Finalnacht der Australien Open 2022.

Als er nach fünf Stunden und 24 Minuten einen unglaublichen Entfesselungsakt geschafft und einen schier aussichtslosen 0:2-Satzrückstand gegen Daniil Medwedew aus Russland noch in einen 2:6, 6:7, 6:4, 6:4, 7:5-Marathontriumph umgebogen hatte, war Nadal auf einmal der alleinige Spitzenreiter im faszinierenden Kampf um Grand-Slam-Rekorde. Doch jenseits der imponierenden Zahlen – Nadal hat nun 21 Siege, dahinter folgen Roger Federer und Novak Djokovic mit jeweils 20 -, stand eine Titel-Mission in Melbourne, die ihresgleichen suchte, auch und besonders noch einmal im letzten Centre-Court-Duell.

„Ich hätte jeden für verrückt erklärt, der mir das vor einem halben Jahr gesagt hätte“, sagte Nadal in dieser außergewöhnlichen Australian-Open-Nacht. Der Mann, der vor einigen Wochen noch wegen seiner komplizierten Fußverletzung über ein Karriere-Aus grübeln musste. „Das wird unvergessen und für den Rest des Lebens in meinem Herzen bleiben.“

Ein Wunder? Ein Märchen? Ein Mysterium? Hexerei, Zauberei? Irgendwie alles zusammen. Was wohl auch Nadal dachte, als er nach seiner verwegenen Aufholjagd am Netz stand und, soeben zum zweiten Mal Melbourne-König geworden, vor lauter Verblüffung erst mal nur flüchtig grinste. Und dann lange mit dem Kopf schüttelte, als müsse er sich selbst fragen, wie das alles passieren konnte. Er verstand es anfangs nicht. „Ich habe einfach das gemacht, was mich immer stark gemacht hat: An mich glauben, in jeder Sekunde“, sagte er später, „es war eines der emotionalsten Matches in meinem Leben.“ Und auch ein sehr gutes.

Mit 0:2-Sätze lag er bereits hinten gegen den trickreichen Medwedew, dazu hatte er bei einem 2:3-Defizit im dritten Akt noch drei Breakbälle gegen sich, bei 0:40. Doch Nadal wehrte das Unheil in der Paraderolle des willensstarken Fighters ab, er glich zum 3:3 aus, er gewann den dritten Satz, er gewann den vierten Satz. Und er, der zehn Jahre ältere Spieler, war im fünften Durchgang plötzlich der frischere, entschlossenere, willensstärkere Spieler im Finale – von Müdigkeit jedenfalls keine allzu große Spur.

Einen kurzen Schwächemoment überwand er auch noch: Bei einer 5:4-Führung servierte er erstmals zum Matchgewinn, kassierte ein Break. Nahm aber umgehend Medwedew wieder den Aufschlag ab und ging mit 7:5 durchs Ziel. Erstmals in der modernen Tennisära war somit auch ein Finalcomeback nach einem 0:2-Auftaktminus in Melbourne perfekt.

Oben auf der Ehrentribüne zückte da auch Rod Laver, der Namensgeber des Centre Court, sein Smartphone und hielt die geschichtsträchtigen Szenen in der Arena fest. Nadal, der nach der ersten Verwunderung über diesen Triumph auf die Knie ging und die Fäuste zum Himmel ballte. Nadal, der den Pokal aus den Händen des ehemaligen Gewinners Jim Courier erhielt und ihn überglücklich den Fans präsentierte. Nadal glückselig zusammen mit seinem Team um den Chefcoach Carlos Moya. Ein „Phänomen“ sei dieser Kerl, gab Altmeister Laver noch zu Protokoll, „er macht Dinge möglich, die unmöglich sind.“

Begonnen hatten die Australian Open ja lange vor den ersten Ballwechseln mit der leidigen Affäre um den Weltranglisten-Ersten Novak Djokovic. Es war großes Drama, weit abseits vom Centre Court. Es ging tagelang um Visafragen, um Impfung, um Paragrafen, schließlich um Einreise oder Ausweisung. Die ganze Welt schaute nach Australien. Doch als die Grand-Slam-Festspiele ihren letzten Tag erlebten, war der Sport mit aller Macht zurückgekehrt.

Mit Rafael Nadal, diesem denkwürdigen, aus Schmerzen und Sorgen auferstandenen Champion. Und auch mit Daniil Medwedew, dem Mann, der sich trotz seiner Niederlage als kommende Führungsfigur der Branche empfahl, vor Generationsgenossen wie Stefanos Tsitsipas oder auch Alexander Zverev. „Es war ein sehr, sehr starker Auftritt von Medwedew. Er hat nicht nur gegen Nadal, sondern praktisch gegen das ganze Stadion gespielt“, sagte Schwedens ehemaliger Weltklasseprofi Mats Wilander. Die Fans waren mehrheuitlich auf der Seite des späteren Siegers, sie störten teilweise gar den Russen bei dessen Spiel.

Bei den US Open im vergangenen Herbst hatte Medwedew seine Rolle als Spielverderber sogar mit dem überraschenden Sieg gegen Novak Djokovic veredelt. Auch der „Djoker“ stand damals vor historischen Großtaten, vor dem Gewinn des Kalender-Grand Slam, vor Major-Titel Nummer 21. Den hat nun Rafael Nadal geholt. Der nächste Stopp ist Paris, im Frühling. Die zweite Heimat von Rafael Nadal. Das Rennen nach Titeln geht weiter.

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