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Der Zorn der Witwe

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Von: Stefan Behr

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In Griesheim wird ein Ehepaar im eigenen Haus brutal überfallen, der Mann kommt dabei ums Leben. Nun sagt die überlebende Frau als Zeugin aus.

Die Witwe betritt den großen Saal des Landgerichts unsicheren Schrittes und ganz in Schwarz. Schwarzes Kostüm, schwarzer Hut, zwei deutlich jüngere Männer, ebenfalls in Schwarz, stützen die 79-Jährige und nehmen während ihrer Zeugenaussage demonstrativ direkt hinter ihr Platz. Und dann sieht die Witwe das erste Mal in das Gesicht der drei Männer, die sie am Abend des 9. Oktober 2017 in ihrem Haus in Griesheim überfallen, halb totgeschlagen und zur Witwe gemacht haben.

Bei dem Überfall war das Trio mit Sturmhauben maskiert gewesen. An ihrer Täterschaft besteht kein Zweifel: Beim Eintreffen der Polizei – Nachbarn hatten die Hilferufe der Frau gehört und den Notruf gewählt – waren die Täter in dem schwer gesicherten Haus des vermögenden Juwelier-Ehepaars gefangen, sie wurden noch am Tatort festgenommen. Am ersten Verhandlungstag hatten die drei den Raubüberfall zugegeben, sich die schweren Gewaltexzesse aber gegenseitig zugeschoben.

Und Gewaltexzesse sind es, welche die Witwe als Zeugin mit bewundernswerter Beherrschtheit schildert. Sie erzählt, wie sie und ihr Mann am Abend von ihrem Griesheimer Schmuck- und Uhrengeschäft nach Hause kommen, mit ordentlich Schweizer Franken und Euro in der Tasche – am nächsten Tag hätten die beiden einen Kuraufenthalt in Davos antreten wollen. Beschreibt nüchtern, wie die Täter, die sich im Innenhof hinter Mülltonnen versteckt hatten, über die beiden alten Leute herfallen. Berichtet, wie sie die erstickten Schreie ihres Mannes hört, dem einer der Räuber den Mund zuhält. Bei dieser Stelle bricht ihr dann doch die Stimme: „Das war das Letzte, was ich je von ihm gehört habe.“

Der 78-Jährige überlebt die Kaskade von Schlägen und Tritten gegen seinen Kopf nicht, er stirbt wenige Stunden später im Krankenhaus. Die Frau geht erst davon aus, dass ihr schwerverletzter Mann in einem anderen Krankenhaus liegt. „Um 3 Uhr nachts hat mich der Chefarzt mit meinem Bett dann in das Sterbezimmer gefahren“, erinnert sie sich vor Gericht, damit sie habe Abschied nehmen können. Ihr Mann sei „in den Armen unserer Tochter“ gestorben.

Die Frau überlebt, aber die Knochen in ihrem Gesicht sind zertrümmert, von einem Auge löst sich die Hornhaut. Ein Finger ist bis heute bewegungsunfähig, was der passionierten Uhrmacherin ihr Hobby unmöglich macht. Sie leidet bis heute unter Schmerzen, Angstzuständen, Schlaflosigkeit. „Der Film läuft Tag und Nacht hier ab“, sagt sie und deutet auf ihren Kopf. „Eine Gesichtshälfte ist immer noch gelähmt. Das wird auch nichts mehr.“

Sohn ehemaliger Mieter beteiligt

Bei einem der drei Angeklagten handelt es sich um den Sohn ehemaliger Mieter des Ehepaares. Die beiden besaßen mehrere Häuser mit mehr als 30 Wohnungen in Frankfurt, die sie offenbar bevorzugt an osteuropäische Wanderarbeiter vermieteten – alle Angeklagten im Alter von 26, 21 und 19 Jahren stammen aus der Republik Moldau.

Als einer der drei am Ende ihrer Zeugenaussage eine Erklärung gegenüber der Frau abgeben will, fragt der Vorsitzende Richter Uwe Steitz die Witwe, ob ihr das überhaupt recht sei. Vermutlich soll die Erklärung auf eine Art Entschuldigung hinauslaufen, was angesichts der angeklagten Gewaltorgie tatsächlich wie ein geschmackloses Unterfangen anmutet. Aber die Witwe, die den Eindruck einer Frau macht, die weiß, was sie will, macht aus ihrem Herzen keine Mördergrube. „Ich soll mir von diesen Mördern eine Entschuldigung anhören?“, fragt sie mit mehr als nur einem Hauch Entrüstung in der Stimme. Und gibt selbst die Antwort: „Nein!“ Dann erhebt sie sich, flankiert von ihren Begleitern, und verlässt den Saal so unsicher, wie sie ihn betreten hat.

Der Prozess soll am Freitag fortgesetzt werden.

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