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Wo Marmor, Stein und Eisen spricht

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Von: Meike Kolodziejczyk

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Die glattgeschliffene Wand des Villmarer Unica-Bruchs bietet einen einmaligen Einblick in ein Stromatoporen-Riff aus dem Mitteldevon. Wilfried Pinsdorf
Die glattgeschliffene Wand des Villmarer Unica-Bruchs bietet einen einmaligen Einblick in ein Stromatoporen-Riff aus dem Mitteldevon. Wilfried Pinsdorf © Wilfried Pinsdorf

Warum Hessen einst am Äquator lag, Kalkstein aus der Lahnmulde weltberühmt wurde und die Region überhaupt geologisch interessant ist, erzählt das Lahn-Marmor-Museum in Villmar

Ob im Empire State Building in New York, in der Eremitage in St. Petersburg, im Bahnhof Haydarpasa in Istanbul oder im Palast des Maharadschas von Tagore in Indien: Auf der ganzen Welt stehen Bauwerke, in denen ein mehr oder weniger großes Stück Hessen steckt. Wobei diese Stücke entstanden, als unser Planet noch ganz anders aussah und es längst noch keine Menschen, geschweige denn Hessinnen und Hessen gab. Selbst die Kontinente waren nicht an ihrem aktuellen Platz, Europa lag auf Äquatorhöhe und war zu weiten Teilen von Meer bedeckt. Damals, vor rund 385 Millionen Jahren, im Zeitalter des Devon.

Unter Wasser brodelten Vulkane, allerlei Getier wogte durchs devonische Meer, darunter Stromatoporen, eine ausgestorbene, schwammartige Lebensform, die besonders eifrig Riffe bildete. Die Erde ruckelte sich zurecht und so findet sich eines dieser Riffe heute in der Gemeinde Villmar nahe Limburg wieder – und damit mitten in Hessen, weit entfernt von jeglichem Meer. Dafür fließt in der Nähe die Lahn vorbei, von ihr hat das Gestein, das dort vier Jahrhunderte lang abgebaut wurde, seinen Namen: Lahnmarmor.

„Als Hessen am Äquator lag“: Unter diesem Titel hat Rudolf Conrads früher Vorträge gehalten über den geologischen Schatz, der sich zwischen Taunus, Vogelsberg und Westerwald durchs Erdreich zieht. „Dieses Stromatoporen-Riff gehört zu den bedeutendsten seiner Art weltweit.“ Conrads ist einer der Gründungsväter des Lahn-Marmor-Museums, das seit 2005 über Entstehung, Geschichte, Abbau und Verwendung des für seine Farbigkeit geschätzten Werksteins informiert.

Zunächst war es in der Ortsmitte Villmars in einem Fachwerkhaus untergebracht, bis schließlich ein eigenes Gebäude errichtet und im März 2016 eröffnet wurde. Träger ist seitdem eine gemeinnützige Stiftung, die 2015 aus einem bereits 1997 gegründeten Verein hervorging. Dieser legte vor 25 Jahren den Grundstein für das Lahn-Marmor-Museum, kurz LMM. Im Jubiläumsjahr 2022 blicke man zurück auf eine Erfolgsgeschichte, sagt Conrads, der Vorsitzender des Stiftungsbeirats ist. Das sei besonders den vielen Ehrenamtlichen zu verdanken, die es ermöglichten, dass sich das LMM über den Eintritt, den Museumsshop sowie über Sponsor:innen allein finanzieren könne. „Wir machen keine großen Gewinne, schreiben aber unterm Strich eine schwarze Null.“ Selbst die beiden Pandemiejahre habe das Haus gut überstanden, obwohl es über längere Phasen schließen musste und Führungen und Veranstaltungen ausfielen. „Wir haben die Zeit genutzt, um unsere Dauerausstellung zu optimieren“, sagt Conrads. Und um die neue Sonderausstellung „Die drei Leben des Unica“ zu konzipieren. Mit ihrer Eröffnung startete das LMM am Wochenende in die Saison.

Der Villmarer Unica-Bruch ist etwa sechs Meter hoch sowie 15 Meter breit und gewährt „einen einzigartigen Einblick in ein Stromatoporen-Riff in Lebendstellung“. Museumsführer Gerold Alban steht vor der geschliffenen Wand, Gäste streichen mit den Händen über die glatte Fläche, in der neben Stromatoporen auch Korallen, Seelilien, Kopffüßler und Schnecken zu erkennen sind. Und dann all diese Farben: Die Rottöne gehen auf Vulkanismus und oxidiertes Eisen zurück, Schwarz und Grau auf dunklen Ton und Kohlenstoff, Gelb und Ocker auf Limonit. „Wo Marmor, Stein und Eisen spricht“, verheißt ein Kurzfilm, in dem sich das LMM vorstellt.

Das Museumsgebäude ist etwa 385 Meter vom Unica-Bruch entfernt. Auf dieser Strecke wurde ein „erdgeschichtlichen Weg“ gestaltet, der die geologischen Zeiträume vom Mitteldevon bis heute abbildet. „385 Meter entsprechen 385 Millionen Jahren“, sagt Bernold Feuerstein vom Stiftungsvorstand. „Mit jedem Schritt gehen wir eine Millionen Jahre durch die Erdgeschichte.“ Infotafeln erläutern die Zeitalter, ein kleiner Globus zeigt, wie die Lahnregion im Laufe der Jahrmillionen von 20 Grad südlich bis 50 Grad nördlich des Äquators gewandert ist – und wie sie sich noch immer gen Norden schiebt. „Der ganze mittelhessische Raum“, betont Feuerstein, „ist eine geologisch sehr interessante Gegend.“

Das Museum

Das Lahn-Marmor-Museum (LMM) in Villmar im Kreis Limburg-Weilburg, Oberau 4, ist sowohl ein Informationszentrum des Geoparks Westerwald- Lahn-Taunus, als auch ein Museum der Industriekultur.

Es besteht aus vierTeilen , welche da sind: das Museumsgebäude mit der Dauerausstellung und wechselnden Sonderausstellungen, der 2005 mit den Prädikaten „Nationales Geotop“ und „Planet Erde – Welt der Geowissenschaften“ ausgezeichnete Unica-Bruch mit dem „Ergeschichtlichen Weg“, der Lahn-Marmor-Weg, der in zwei Runden durch Villmar führt, und die Lahn-Marmor-Route, die einen Radweg entlang der Lahn durch die Region der ehemals mehr als 100 Marmorbrüche von Wetzlar bis nach Balduinstein markiert.

Geöffnet ist das Museum von April bis Oktober dienstags bis freitags jeweils von 14 bis 17 Uhr, sowie samstags, sonn- und feiertags von 10 bis 17 Uhr. Der Eintritt kostet 5 Euro, ermäßigt 4 Euro. Das Familienticket ist für 12 Euro zu haben. Für Kinder unter sieben Jahren ist der Eintritt frei.

Die Sonderausstellung „Die drei Leben des Unica. Geboren aus Feuer und Wasser – Menschen und Handwerk – Wiederentdecktes Naturerbe“ hat zum Start in die Saison nach coronabedingt verlängerter Winterpause am Wochenende eröffnet. Bis 31. Oktober widmet sich die Schau dem Unica-Bruch und stellt die geologische Bedeutung, den Abbau und des Verarbeitung des Gesteins und dessen Anwendung in Deutschland und der Welt dar. Begleitet wird die Sonderausstellung von Führungen, Vorträgen und „Marmorgeschichten-Erzählcafés“.

Eine Führung durch den Unica-Bruch wird am Sonntag, 10. April, 14 Uhr, angeboten, für die Gäste sich bis Donnerstag, 7. April, unter stiftung@lahn-marmor-museum.de anmelden sollten. myk

www.lahn-marmor-museum.de

Daraus ließ sich natürlich etwas machen. Bereits im 12. Jahrhundert wurde der schmucke, polierfähige Kalkstein nicht nur zum Kalkbrennen genutzt, sondern auch als Werkstoff für Bauten wie dem Limburger Dom entdeckt. Der im 16. Jahrhundert zunehmende Bedarf speziell der katholischen Kirche wurde wesentlich mit Stein aus Italien gedeckt. Die Beschaffung war jedoch zeit- und kostenaufwendig und so wurde nach heimischen Materialien gesucht. „Der Lahnkalkstein als Marmor wird erstmals 1594 urkundlich erwähnt“, sagt Rudolf Conrads. Und so begann bald der Abbau im großen Stil. Von Wetzlar bis Balduinstein wurde Lahnmarmor, früher Nassauer Marmor genannt, gefördert und bearbeitet. Villmar wurde zu einem Zentrum, „wahre Bildhauer-Dynastien“ habe der Ort hervorgebracht, sagt Bernold Feuerstein.

„Entlang der Lahn gab es etwa 100 Steinbrüche“, berichtet Rudolf Conrads, und etwa genauso viele Varietäten des Marmors. Einen Überblick darüber bietet die Ausstellung der Musterplatten im LMM, das sich nicht nur als geologisches Museum, sondern auch als Museum für Technik, Wirtschafts- und Kunstgeschichte sowie der Industriekultur versteht.

Skulpturen, Stelen, Säulen, Altäre und Objekte wie Schüsseln oder Tischplatten wurden aus Lahnmarmor gefertigt, vielfach fand er Einsatz in Sakral- und Prachtbauten. In der Region etwa in den Epitaphien des Mainzer Doms, in Wiesbaden im Kurhaus und im Biebricher Schloss, in Bad Nauheim in Fürstenbad und Sprudelhof oder im barocken Bad des Weilburger Schlosses. Ferner gibt es Lahnmarmor in den Domen von Berlin, Köln, Würzburg und Trier, in den Schlössern von Brühl, Benrath und Schwetzingen, in der Universität von Zürich und sogar im Kreml in Moskau.

Prominentestes Beispiel aber ist das Empire State Building. „Die Eingangshalle ist an den Wänden komplett mit Lahnmarmor verkleidet“, sagt Feuerstein. Eine Marmorgesellschaft lieferte 1929/30 aus dem Steinbruch in Gaudernbach Tonnen der Varietäten „Estrellante“ und „Famosa Rose“ nach New York.

Doch auch die weniger glorreichen Kapitel in der Historie des Lahnmarmors beleuchtet das Museum. Die Arbeit in den Steinbrüchen sei hart und gefährlich gewesen und Arbeitsschutz bis ins 20. Jahrhundert quasi unbekannt. „Zuchthausinsassen haben den Lahnmarmor bearbeitet“, erzählt Conrads, so dass sich die Steinmetze der Region über Lohndumping beschwert hätten. In den 1930er-Jahren war das NS-Regime emsiger Abnehmer von Lahnmarmor, um damit seine Protzbauten auszustatten. Conrads berichtet von einem Steinmetzbetrieb, der jüngst aus Nürnberg einen großen Bestand zurückgekauft habe. „Der war ursprünglich für das Reichsparteitagsgelände gedacht.“

Denn wer sich heute für Lahnmarmor interessiert, muss suchen, er wird seit gut 30 Jahren nicht mehr gefördert. Nachlassender Bedarf im Kirchenbausegment, ein veränderter Geschmack und billigere Konkurrenzprodukte ließen die Nachfrage sinken. Nach und nach wurde der Abbau eingestellt. Die letzte größere Bergung erfolgte 1989 aus dem Villmarer Bongardbruch für die Restaurierung der Mannheimer Jesuitenkirche. Damit endete der 400-jährige Triumphzug vom „Marmor von der Lahn“.

So betitelt Rudolf Conrads heute oft seine Vorträge. Er ist ein gefragter Experte im Kompetenzzentrum des LMM. Dabei ist er eigentlich Volkswirt in Köln. Seine Faszination für Hessens Untergrund wurde geweckt, als es ihn 1994 berufsbedingt nach Weilburg verschlug und ihm die zahlreichen Steinmetz- und Bildhauerwerkstätten der Umgebung auffielen. Er ging der Sache auf den Grund und stieß auf den Lahnmarmor. Und der – das muss zum Schluss noch verraten werden – ist aus geologischer Sicht überhaupt kein Marmor, sondern sogenannter Massenkalk. „Ihm fehlt ein metamorpher Prozess, der die kristallinen Strukturen so verändert hat wie etwa beim Carraramarmor.“ Doch genau das mache seinen Reiz aus. Eine Carrarawand sei einfach weiß, der Unica-Bruch mit all den eingeschlossenen Relikten aus der Urzeit „hat viel mehr zu erzählen“.

Das neue Gebäude des Lahn-Marmor-Museums wurde im Frühjahr 2016 eröffnet. Lahn-Marmor-Museum
Das neue Gebäude des Lahn-Marmor-Museums wurde im Frühjahr 2016 eröffnet. Lahn-Marmor-Museum © Lahn-Marmor-Museum
Abtransport von Marmor in Gaudernbach für das Empire State Building 1929/1930. Lahn-Marmor-Museum
Abtransport von Marmor in Gaudernbach für das Empire State Building 1929/1930. Lahn-Marmor-Museum © Lahn-Marmor-Museum
Belegschaft des Marmorbruchs in Steeden in den 40er Jahren. Lahn-Marmor-Museum
Belegschaft des Marmorbruchs in Steeden in den 40er Jahren. Lahn-Marmor-Museum © Lahn-Marmor-Museum
Marmorabbau im Villmarer Unica-Bruch um etwa 1938. Lahn-Marmor-Museum
Marmorabbau im Villmarer Unica-Bruch um etwa 1938. Lahn-Marmor-Museum © Lahn-Marmor-Museum
Lahnmarmor aus dem Villmarer Unica-Bruch. Lahn-Marmor-Museum
Lahnmarmor aus dem Villmarer Unica-Bruch. Lahn-Marmor-Museum © Lahn-Marmor-Museum

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