„Wir rufen nicht zu politischen Streiks auf“

Erst Klimastreik, dann Frauenkampftag: Verdi-Tarifkoordinator Jens Ahäuser spricht darüber, warum Arbeitskampf mit anderen Kämpfen verbunden wird.
Die Vereinte Dienstleistungsgesellschaft Verdi befindet sich in Tarfiverhandlungen und ruft zum Warnstreik im Erziehungs- und Sozialdienst auf. Dass dieser Ausstand auf denselben Tag wie der Frauenkampftag fällt, löst Kritik aus, genauso wie der gemeinsame Aktionstag von Verdi und „Fridays for Future“ am vergangenen Freitag. Kritiker:innen werfen der Gewerkschaft vor, politische Streiks zu führen, die in Deutschland nicht zulässig sind. Jens Ahäuser, Tarifkoordinator von Verdi Hessen, hält im Interview mit der FR dagegen.
Herr Ahäuser, in dieser Tarifrunde folgt relativ zügig ein Warnstreik auf den anderen. Wie nehmen Sie die Akzeptanz für die Streiks wahr?
Ich habe den Eindruck, dass unsere Aktivitäten in der Bevölkerung akzeptiert sind. Menschen zeigen uns, dass sie hinter unsereren Forderungen stehen.
Nun sehen das nicht alle so. Die Arbeitgeber:innenseite wirft Ihnen vor, die Streiks zu politisieren. Vergangenen Freitag rief Verdi die Beschäftigten des öffentlichen Personennahverkehrs zum gemeinsamen Streik mit „Fridays for Future auf“. Am Mittwoch nutzt der Erziehungs- und Sozialdienst den Frauentag zum Ausstand.
Ich halte diese Aussagen für überspitzt. Diese kommen von Leuten, die ohnehin am Streikrecht rütteln wollen. Sie versuchen uns in die Richtung des politischen Streiks zu rücken. Von unseren Verhandlungspartnern, der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände und dem Bundesinnenministerium, sind solche Andeutungen allerdings nicht zu hören. Die wissen auch, dass diese Unterstellungen unsinnig sind.
Wir wollen natürlich die mediale Aufmerksamkeit auf diese Branchen lenken, und da ist der Frauentag naheliegend – da 83 Prozent der Beschäftigten im Erziehungs- und Sozialdienst Frauen sind.
Es gibt aber Jurist:innen, die der Meinung sind, dass diese Warnstreiks als politische Streiks angesehen werden könnten. Das wäre für Sie ein Problem.
Das halte ich für falsch, weil wir unsere Mitglieder ganz ausdrücklich zu den Inhalten der Tarfiverhandlungen zum Streik aufrufen. Wir wissen auch, dass es aufgrund unseres Grundgesetzes nicht anders geht. Die Tatsache, dass wir eine gemeinsame Veranstaltung mit „Fridays for Future“ gemacht haben, bezieht sich auf die Thematik der Mobilitätswende. Aber wir haben nicht dazu aufgerufen, dass unsere Kolleginnen und Kollegen für die Mobilitätswende streiken, sondern ausdrücklich für ein besseres Einkommen. Aber natürlich verbinden wir das auch mit politischen Gruppen wie „Fridays for Future“ oder Frauenrechtlerinnen. Das haben wir vergangenes Jahr am Frauentag übrigens auch gemacht – aber da gab es diese Debatte nicht.
Warum glauben Sie, dass es sie jetzt gibt?
Das kann ich Ihnen nicht sagen, Vielleicht gibt es Interessen, am Streikrecht herumzudoktern. Ich kann mich nur wiederholen: Wir rufen nicht zu politischen Streiks auf.
Aber die Strategie ist schon, den Arbeitskampf mit anderen Kämpfen zu verbinden?
Wir machen sogenannte Branchenstreiktage. Unsere Mitglieder haben gesagt: „Wir wollen als Berufsgruppe erkennbar sein“, und das ist der Grund, warum wir für die Kolleginnen und Kollegen im Nahverkehr einen besonderen Tag gemacht und speziell auch die Jugend auf die Straße geholt haben. Vergangene Woche haben wir speziell in Kassel die Auszubildenden herausgeholt, das haben wir aber nicht mit politischen Themen verbunden. Wir wollen natürlich die mediale Aufmerksamkeit auf diese Branchen lenken, und da ist der Frauentag naheliegend – da 83 Prozent der Beschäftigten im Erziehungs- und Sozialdienst Frauen sind.
Sabrina Fritz, SWR-Wirtschaftsredakteurin, kommentierte vor kurzem erst in den ARD-Tagesthemen, dass die Kämpfe von Verdi und „Fridays for Future“ nicht zusammenpassten. Dass die Menschen einfach aufs Auto umsteigen würden.

Ein Bus- oder Straßenbahnfahrer, der in Hessen rund zwölf Jahre gearbeitet hat, verdient rund 3150 Euro brutto, und das reicht schlichtweg nicht. Deshalb verhandeln wir. Wir müssen die Inflation als unser Hauptstreikziel ausgleichen. Das Hauptziel von „Fridays for Future“ war am gemeinsamen Aktionstag die Mobilitätswende. Natürlich werden wir diese nicht umsetzen können, wenn am Ende die Fahrerinnen und Fahrer fehlen. Das ist Fakt. Das heißt nicht, dass wir alle Themen und Ansichten von „Fridays for Future unterstützen“.
Steffen Kampeter, Geschäftsführer der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände, meinte vor wenigen Wochen, die Streiks seien unberechenbar geworden, weshalb das Streikrecht überarbeitet werden müsse. Sehen Sie das als Zeichen, dass Sie die Arbeitgeber:innenseite durchaus unter Druck setzen?
Wenn ich mir überlege, welche Wellen gerade die Aktion im Nahverkehr geschlagen hat, habe ich den Eindruck, dass wir genau den Nerv treffen, den wir auch treffen wollen. Die Hoffnung besteht, dass das in entsprechende Angebote der Arbeitgeberseite mündet. Wir kennen diese Reflexe ja schon, beispielsweise, wenn sofort über die Einschränkung des Streikrechts gesprochen wird, wenn wir die Flughäfen bestreiken.
Wäre es für Sie als Verdi mit Blick auf die Kritik nicht leichter, wenn es in Deutschland kein Quasiverbot politischer Streiks oder gar eine Aufhebung der Sozialpartnerschaft gäbe? In Frankreich sind die Gewerkschaften so beispielsweise in der Lage, im großen Stil gegen die geplante Rentenreform Emmanuel Macrons zu mobilisieren.
Ich glaube nicht, dass uns das wirklich helfen würde. Ich finde diese Trennung nachvollziehbar. Unsere Auseinandersetzungen mit der Arbeitgeberseite in Bezug auf Arbeit und Wirtschaft werden vernünftig geführt. Natürlich würde man sich die Aufhebung als Gewerkschafter manchmal wünschen, ja. Aber ich glaube, dass die Trennung uns als Gewerkschaft nicht geschadet hat.