„Wir fühlen uns verarscht“

Warnstreik in Hofheim mit 300 Angestellten aus dem öffentlichen Dienst
Main-Taunus - Heute ist kein Arbeitstag, heute ist Streiktag“ schallt es am Donnerstagvormittag immer wieder über den Chinonplatz und später durch die Straßen der Hofheimer Innenstadt. Die Gewerkschaft Verdi hatte für den öffentlichen Dienst erneut zum Warnstreik ausgerufen, rund 300 Angestellte aus dem Main-Taunus-Kreis, dem Hochtaunuskreis und der Wetterau sind dem Aufruf in die Kreisstadt gefolgt. Auf gelben Warnwesten, Fahnen und Plakaten ist vor dem Hofheimer Rathaus zu lesen, was ab Veranstaltungsbeginn um 10 Uhr auch über die mobilen Lautsprecher deutlich hörbar wird: „Zusammen geht mehr.“
Vorausgegangen war dem Warnstreik - einem von vielen in ganz Deutschland - ein Angebot der Arbeitgeber zur Lohnerhöhung für den öffentlichen Dienst: eine tabellenwirksame Erhöhung von drei Prozent Ende 2023 und zwei Prozent Mitte 2024 über eine Laufzeit von 27 Monaten, zusätzlich eine Inflationsausgleichsprämie in zwei Raten von 1500 und 1000 Euro. „Ich möchte mich höflich ausdrücken: Dieses Angebot ist frech“, betonte Gewerkschaftssekretär Ferhat Taysi. Schon im nächsten Satz verabschiedet er sich vom Bestreben nach Political Correctness. „Wir fühlen uns verarscht“, verkündet er mit nach drei Tagen Streikeinsatz hörbar angekratzter Stimme. Aus der Menge brandet zustimmender Applaus auf.
Zu glauben, erst drei und anschließend zwei Prozent würde unter dem Strich fünf Prozent mehr Lohn bedeuten, sei ein Irrglaube, wie Andreas Wagner am Mikrofon vorrechnet. Da die erste Erhöhung erst im Oktober greifen solle, würde man zunächst neun Monate nichts bekommen, so der Vorsitzende des MTK-Personalrats, anschließend über die Laufzeit von 27 Monaten „mickrige 2,7 Prozent“. „Das ist eine Einladung zum Weiterstreiken“, ruft Wagner der Menge zu und erntet dafür ebenfalls Beifall.
HEUTE STREIK IM ÖPNV
Für heute sind erneut Warnstreiks im öffentlichen Personennahverkehr angekündigt worden. Im Main-Taunus-Kreis sind die Fahrten der Linien 15, 20, 46 und 48 sowie der Nachtbuslinie N2 betroffen. Damit ist das Angebot in Wallau, Hochheim und Eppstein eingeschränkt.
Aktuelle Fahrgastinformationen gibt es rund um die Uhr unter dem RMV-Servicetelefon 069 / 24 24 80 24. red
Unter den Applaudierenden ist auch Ulrike Richter, Erzieherin in einer städtischen Kita in Oberursel. Sie sei in der glücklichen Situation, dass ihr Ehemann ein gutes Einkommen beziehe, doch ist sie nach Hofheim gekommen aus Solidarität mit den vielen Kolleginnen und Kollegen, die mit dem Gehalt aus dem öffentlichen Dienst bei stetig steigenden Lebenshaltungskosten über die Runden kommen müssen. „Ich kenne viele, die zum Beispiel nicht in den Urlaub fahren können, und wenn doch, dann nur unter langem Sparen“, berichtet Richter, „und eine Familie kann man von dem Geld als Erzieherin oder Erzieher eigentlich nicht ernähren.“ Was paradox sei, da man für andere Eltern bei hohem Krankenstand in den Einrichtungen immer wieder bis zu 40 Kinder betreue. „Das ist Aufbewahrung und eigentlich auch gar nicht erlaubt.“
„Kindeswohlgefährdung heißt das, weil wir in den Kitas nicht genügend Personal haben“, führt Taysi auf seiner Rednerbühne aus. Falls einem Kind dann etwas passiere, sei nicht der Arbeitgeber, sondern die Kollegin oder der Kollege vor Ort schuld. „Unterbesetzt, unterbezahlt, überfordert, überlastet“, fasst eine Streikende die Zustände auf einem Plakat zusammen.
Um eine Verbesserung des Personalschlüssels und damit der Gesamtsituation zu erwirken, hat Verdi die Petition „SOS Kita!“ ins Leben gerufen. An den ursprünglichen Forderung zur Lohnerhöhung hält die Gewerkschaft ebenfalls fest: 10,5 Prozent mehr Gehalt, mindestens aber 500 Euro pro Monat bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Zudem monatlich 200 Euro mehr für Azubis. Dass diese Forderung bald erfüllt wird, mag auf dem Chinonplatz noch niemand so recht glauben. Doch herrscht allgemeine Bereitschaft, die Warnstreiks auszuweiten. Ferhat Taysi schließt die Versammlung mit den Worten: „Wir sehen uns in wenigen Tagen wieder.“