„Wir waren nie Feinde“

Die in Wiesbaden lebende Journalistin Nina Römer schrieb ein Buch über die Ukraine und ihr Verhältnis zu Russland.
Eigentlich wollte Nina Römer kein politisches Buch über die Ukraine schreiben, sondern von der Kultur, von Essen und Trinken und Sehenswürdigkeiten erzählen. Um eine Antwort zu geben auf die Frage, die ihr, der in der Ukraine aufgewachsenen Russin, in Deutschland immer wieder gestellt werde: Ob die Menschen in der Ukraine eigentlich Russen und Russinnen seien. Nein, das seien sie nicht, betont Römer. Geschichte und Kultur unterschieden sich sehr.
Die ersten Kapitel von „Die Ukraine für Anfänger“ waren schon fertig, als Russland 2014 die Krim annektierte. „Das war ein großer Schock“, erzählt die in Wiesbaden lebende Journalistin, „da musste und wollte ich doch ein politisches Buch machen.“ Sie schrieb ein politisches Vorwort und hängte das Kapitel „Unsere liebsten Quasi-Brüder“ an, eine ironisch geschriebene Analyse, wie es zur Annexion kommen konnte.
„Das Problem ist, dass die Russen den falschen Patriotismus lieben“, schreibt sie, ergänzt aber: „Wir waren nie Feinde.“
Die russische Manipulation der Öffentlichkeit sei zielgerichtet aufgebaut worden, habe in den 1990er Jahren mit Doppelpässen für Menschen in der Ukraine begonnen und habe mit Janukowitsch als Ministerpräsident so richtig losgelegt. Die manipulatorischen Methoden machten vor dem Westen nicht halt, warnt sie. Den Russen und Russinnen rät sie, weniger staatliches Fernsehen zu schauen.
Bei unserem Treffen am vergangenen Freitag wirkt die 64-Jährige erschöpft. Die Angst vor einem Krieg in der Ukraine lasse sie nachts nicht schlafen, sagt sie. Sie könne nicht arbeiten, telefoniere ständig mit Verwandten und Freunden in der Ukraine, fange unvermittelt an zu weinen. Am Tag zuvor hatte Russland seine „Spezialoperation“ gegen die Ukraine begonnen. Am gestrigen Mittwoch klingt sie am Telefon fast euphorisch. Alle erwarteten stündlich den Angriff auf Kiew, sagt sie. Aber ihre Freunde und Bekannten wollten nicht aus der Stadt fliehen, sondern Widerstand leisten. „Wir werden siegen“, sagt sie freudig und erzählt, was sich die Menschen sagten: „Lasst uns schnell Putin besiegen, der Wodka ist schon kalt gestellt.“
Nina Römer kommt 1958 in der Ostukraine auf die Welt und gehört dem russischsprachigen Bevölkerungsteil an. „Ich bin eine Russin, die für die Ukraine ist“, betont sie. Inzwischen ist sie deutsche Staatsbürgerin, seit Ende der 1990er Jahre lebt sie in Deutschland, weil sie ihrem deutsch-ukrainischen Mann hinterhergereist ist. Als junge Frau studiert sie in Kiew Maschinenbau und arbeitet als Ingenieurin, ein Beruf, der sie nicht glücklich macht. In Mainz holt sie ein Sprachstudium nach. Bis zu ihrem Ruhestand schreibt sie über das Leben in Deutschland und deutsche Kultur in russischsprachigen Medien. Zwei- bis dreimal im Jahr besucht sie ihre Verwandten und Freunde in der Ukraine. In Darmstadt engagiert sie sich im Partnerschaftsverein Deutschland-Ukraine/Moldova.
Ihr Leben ist von politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen geprägt. Sie hat im Kommunismus und im Kapitalismus gelebt und in der wilden Zeit dazwischen. Aus diesen Erfahrungen schöpft sie. Die zweite Auflage ihres Buchs ist im Druck. Sie schaut sich die russischen, ukrainischen und deutschen Nachrichten im Fernsehen an. „Ich kann vergleichen“, sagt sie, „das russische Fernsehen fühlt sich gerade an wie ein Irrenhaus.“