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Wiesbadener Werk: Durchbruch in der Papierindustrie

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Von: Madeleine Reckmann

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Die Tissuemaschine 4 ist eine der größten Papiermaschinen weltweit.
Die Tissuemaschine 4 ist eine der größten Papiermaschinen weltweit. © Michael Schick

Unternehmen Essity setzt erstmals grünen Wasserstoff in der Trocknung ein. Das könnte ein Viertel des schädlichen Klimagas-Ausstoßes einsparen.

Die haushohe Papiermaschine 4 des Papierherstellers Essity im Wiesbadener Stadtteil Kostheim rattert so laut, dass die Halle nur mit Ohrstöpseln betreten werden soll. Mit ihren 30 Metern Länge und sechs Metern Breite erinnert sie an einen immensen Schiffsmotor, ist sie doch eine der größten und leistungsfähigsten Papiermaschinen weltweit. Sie produziert täglich 250 Tonnen Papier. Die Maschine mit dem Baujahr 1989 hat nun Papiergeschichte geschrieben.

Am Valentinstag klappt der Versuch

„Wir sind stolz, heute den Durchbruch für die Transformation der Industrie und der Sicherung des Unternehmens zu verkünden“, sagt Werksleiter Thorsten Becherer. „Wir haben am Valentinstag das erste CO2-freie Papier hergestellt.“ Erstmals in der Papierindustrie sei es gelungen, testweise für mehrere Stunden mit grünem Wasserstoff den vollständigen Herstellungsprozess mit erneuerbaren Energien zu füttern, auch den Teil, für den es bislang keine CO2-freie Alternative gab. „Und es funktioniert ohne Qualitätsverlust“, stellt Projektleiter Christian Schüller fest.

Test an größter Maschine

Für den Strom und den Dampf, den die Maschine 4 für die Herstellung der Tücher aus Altpapier benötigt, wird längst grüne Energie eingesetzt. Das Problem ist die Trocknung, die mit einer Temperatur von 600 Grad Celsius erfolgen muss. Bislang kam nur Gas als Energieträger infrage. Jetzt hat Essity bewiesen, dass die „Haubentrocknung“ auch mit hundert Prozent grünem Wasserstoff betrieben werden kann. Für den Versuch ist die Papiermaschine 4 wegen ihrer Größe ausgesucht worden. „Wenn wir es mit ihr schaffen, haben wir auch das Potenzial für die anderen“, so Becherer.

Die schwedische Unternehmensgruppe stellt Hygienepapiere her, am Standort Kostheim Papierhandtücher und zu einem kleinen Teil gewerbliche Wisch- und Reinigungstücher. 2050 möchte der Konzern klimaneutral produzieren.

Hessen und EU fördern das Projekt

Die Entscheidung für das Wasserstoff-Pilotprojekt fällt 2018. Vier Millionen Euro investiert das Unternehmen seitdem in die eigene Infrastruktur, ein Kilometer neue Rohre werden verlegt, ein neuer Brenner für die Maschine 4 angeschafft. 2021 erhält Essity zusätzlich eine Förderung von 1,4 Millionen Euro vom Hessischen Wirtschaftsministerium aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung. Damit die Produktion auch mit Wasserstoff funktioniert, haben Schüller und sein Team lange tüfteln müssen. Wasserstoff verbrennt heißer als Gas, einige Materialien mussten ausgetauscht werden.

Das Windrad mitdenken

Für den hessischen Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) ist der Wasserstoff-Durchbruch von Essity der Beweis, dass auch energieintensive Prozesse mit grünem Wasserstoff klimafreundlich gestaltet werden können. „Dafür brauchen wir mehr erneuerbare Energien. Papierhandtuch denken heißt auch das Windrad mitdenken“, sagt Al-Wazir.

Grüner Wasserstoff kommt aus Mainz

Größter Lieferant des grünen Wasserstoffs sind die Mainzer Stadtwerke, die ihn im Energiepark Mainz-Hechtsheim mit Windkraft gewinnen. Tankwagen transportieren ihn ins Kostheimer Werk, wo er ins neue Leitungsnetz eingespeist wird. Eine Wagenfüllung senkt den CO2-Ausstoß des Werks um drei Tonnen. Insgesamt könnte die Papiermaschine 4 bis zu 37 000 Tonnen CO2 im Jahr sparen, wenn die Trocknung ganzjährig mit grünem Wasserstoff laufen würde.

Wasserstoff-Gas-Gemisch

Seit dem 14. Februar wird aber nicht mehr ausschließlich damit gearbeitet. Essity testet, wie viel Wasserstoff sich dem Erdgas auf dem eigenen Gelände beimischen lässt, ohne Netz und Produktion zu gefährden. Denn auch ein neuer Gasmix könnte ein Weg sein, weniger schädliche Klimagase auszustoßen. Von den Erfahrungen sollen auch die anderen Essity-Standorte profitieren. Gemeinsam mit den Stadtwerken und dem Mainzer Glashersteller Schott, der ebenfalls an einer Wasserstoffstrategie arbeitet, bildet Essity eine Interessensgemeinschaft, die sich Erkenntnisse aus ihren Wasserstoff-Pilotprojekten teilen. „Wir lernen gemeinsam“, erklärt Becherer, „die Zusammenarbeit ist der einzige Grund, warum wir so schnell sein können.“ Bis 2033 möchte Essity in Kostheim eine lokale Elektrolyse bauen, um Wasserstoff mit der im eigenen Solarpark gewonnenen Energie herzustellen. Notwendig sei aber auch ein regionales Wasserstoff-Netz und Produktionen. Von der Politik fordert er kürzere Genehmigungsverfahren und einen Klimaschutzvertrag. Becherer: „Dann können wir noch schneller sein.“

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