Wiesbaden: Stadttouren auf den Spuren des Kolonialismus

Die Zeit des Kolonialismus in Wiesbaden ist bislang lokalhistorisch kaum erforscht. Katherine Lukat vom Stadtarchiv und Susanne Claußen von der evangelischen Erwachsenenbildung haben Führungen dazu konzipiert. Das Interesse ist groß.
Die Zeit des Kolonialismus in Wiesbaden ist lokalhistorisch kaum erforscht. „Fest steht, dass es der Stadt Reichtum brachte, als das deutsche Kaiserreich 1884 mit der kolonialen Expansion begann“, weiß Historikerin Katherine Lukat vom Stadtarchiv. Gemeinsam mit Religionswissenschaftlerin Susanne Claußen von der evangelischen Erwachsenenbildung hatte sie zur Wiesbaden Biennale 2022 erstmals Führungen auf den Spuren des Kolonialismus angeboten. Seither recherchieren Claußen und Lukat weiter und sind dankbar für neue Hinweise.
Zur Internationalen Woche des Rassismus stand am vergangenen Mittwoch ein weiterer Rundgang auf dem Programm. Das Interesse war groß, 30 Menschen kamen. Start war am Hessischen Staatstheater, jenem Prunkbau, den Kaiser Wilhelm II. im imperialistischen Stil gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatte errichten lassen. Zeitgleich habe Deutschland seine aggressive militärische Expansion in Afrika vorangetrieben, Kolonien eingerichtet und später Aufstände der schwarzen Bevölkerung brutal niedergeschlagen, wie Lukat berichtete.
Die Schaufenster in den Kolonnaden, in denen heute Theaterplakate hängen, gehörten einst zu einer Vielzahl von kleinen Läden, in denen Luxusprodukte aus den deutschen Kolonien verkauft wurden: Straußenfedern, Diamanten, Pelzstolen, Gehstöcke mit Elfenbeingriffen, Meerschaumpfeifen. Für den täglichen Bedarf gab es um 1900 ein dichtes Netz an Kolonialwarenläden in Wiesbaden. 50 Geschäfte hat Susanne Claußen in einem Stadtplan markiert. Dort wurden unter anderem Reis, Kaffee, Tee und Kakao verkauft.
Die nächste Station auf der Kolonialismus-Tour durch Wiesbaden ist das Eckhaus Schlossplatz 4. Es gehörte dem Stoffhändler Karl Perrot. Er rüstete Expeditionen nach Afrika aus, kaufte im heutigen Tansania Baumwollplantagen und beschäftigte mehr als 1000 einheimische „Kulis“. Dass es gerade einmal acht Deutscher bedurfte, um die schwarzen Arbeiter zu beaufsichtigen, habe wohl mit dem Völkermord an den Herreros und Nama in Deutsch-Südwestafrika zu tun, die Zehntausenden Menschen das Leben gekostet hatte, mutmaßt Katherine Lukat. „Die Plantagenarbeiter hatten schlichtweg Angst.“
Drei Kolonialismus-Ausstellungen gab es zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Wiesbaden. Das Stadtarchiv hat ein Album mit Fotos, auf denen ausgestopfte Wildtiere zu sehen sind und Darstellungen der einheimischen Bevölkerung mit Lendenschurz und Speer. Bei einer Gewerbeausstellung am Hauptbahnhof sei 1909 ein „Senegalesendorf“ mit Menschenschau aufgebaut worden, weiß Susanne Claußen.
Im Wiesbadener Stadtbild sind heute kaum noch Spuren des Kolonialismus zu finden. „Sie wurden unsichtbar gemacht“, berichtet Katherine Lukat. Das Haus in der Häfnergasse 11, in dem Bruno Antelmann, einer der führenden Kolonialwarenhändler Deutschlands, eine Zweigniederlassung hatte und wo Kinder aus den Kolonien als Verkaufskräfte eingesetzt wurden, steht längst nicht mehr.
In der Kaiser-Friedrich-Therme, der letzten Station der Führung, kann man im Foyer hingegen noch das Jugendstil-Fries betrachten, das Hans Völker 1913 fertiggestellt hat. Die Motive stellen, so formuliert es Susanne Claußen, die segnende Kraft des Wassers und die Kräftigung des Leibes dar. Schwarze Sklavinnen mit entblößter Brust würden in ihrer Funktionalität gezeigt, nicht als Individuen.
Eine weitere Führung „Kolonial:Reiche“ ist für den 24. Mai, 17 bis 19 Uhr, angekündigt. Treffpunkt ist vor dem Kurhaus. Anmeldung per Mail an petra.debus@ekhn.de