Wiesbaden: Linksgrüne Koalition in Sicht

Sozial-ökologischer Wandel soll 2022 beginnen. Die Dezernentenstelle ist neu zu besetzen.
Es spricht viel dafür, dass das Jahr 2022 in Wiesbaden für den politischen Wandel stehen wird. Ganz ähnlich wie bei der Politik der neuen Bundesregierung liegt die Messlatte dafür hoch. Nichts weniger als eine soziale, ökologische und digitale Umgestaltung versprechen die Politiker von Bündnisgrünen, SPD, Linken und der proeuropäischen Partei Volt, die zusammen die Mehrheit in der Landeshauptstadt bilden und sich als „progressives Lager“ bezeichnen. Die vier haben sich zwar noch nicht zu einer festen Koalition zusammengefunden. Seit Mai aber funktioniert ihre Zusammenarbeit als loser Verbund. Und das nicht schlecht. Wegweisende Beschlüsse zum Wohnungsbau mit mehr Sozialwohnungen und Bodenbevorratung und zum Tempolimit auf Straßen in der Stadt haben sie gefasst. Und den Haushaltsplan für die Jahre 2022 und 2023 aufgestellt und durchs Parlament gebracht – ohne Krach oder Indiskretionen.
Diese positive Erfahrung könnte dazu führen, dass sich die Partner doch noch zu einer linksgrünen Koalition zusammentun. „Wir warten auf die Einladung der Grünen oder der SPD zu Koalitionverhandlungen“, sagt der Linken-Fraktionsvorsitzende Ingo von Seemen der FR. Der 35-Jährige klingt vergnügt. „Wenn die erfolgreich werden, wird es ein gutes Jahr“, fügt er hinzu, „besser als im Bund“, weil „ohne neoliberale Partei“.
2022 könne der Startschuss für neue, zeitgemäße Entscheidungen ertönen, die mit ein wenig Glück und Disziplin die restliche Legislaturperiode bis 2026 prägen. Denn nur einen Haushaltsplan zu erstellen, reicht nicht. Jetzt muss das Zahlenwerk in konkrete Politik umgesetzt werden.
Angekündigt haben die vier Fraktionen, das Sozialticket und die Freizeitkarte für Kinder und Jugendliche billiger sowie mehr Geld für Bolz-, Spiel- und Freizeitplätze locker zu machen. Schulhöfe wollen sie in grüne Oasen verwandeln, die Verkehrswende fortführen. Um Bodenbevorratung zu betreiben, stehen 15 Millionen Euro bereit. Eine digitale Teilhabekarte für alle wollen sie einführen, die der Diskriminierung Bedürftiger entgegenwirkt.
Zur Frage, ob Koalitionsverhandlungen bevorstehen, möchte die Grünen-Fraktionsvorsitzende Christiane Hinninger nichts sagen. Nur so viel: „Den Haushaltplan haben wir in guter Atmosphäre und konstruktiver Zusammenarbeit hinbekommen.“ Zunächst würden sich die Fraktionen mit den Parteien zusammensetzen; die nämlich entscheiden über mögliche Koalitionsbildungen. Gegebenenfalls würden die Fraktionen Mitte Januar aufeinander zugehen.
Magistrat verstärken
„Wir sind daran interessiert, die Entscheidungen der politischen Mehrheit umzusetzen“, sagt Daniel Weber von Volt, dafür sei eine Koalition hilfreich. Weber sagt aber auch: „Nicht um jeden Preis.“ Doch nun sei Urlaub. das politische Geschäft beginne erst nächste Woche wieder. Damit hat er recht. SPD-Fraktionschef Hendrik Schmehl ist noch nicht zu sprechen.
Für eine Koalition spricht auch, dass der Magistrat dringend verstärkt werden muss. Seit dem Tod von Hans-Martin Kessler (CDU) ist die Stelle des Baudezernenten vakant. Die Aufgaben wurden auf drei Dezernate verteilt. Eine schwierige Situation, da wichtige Projekte – Ostfeld, Vorbereitung des Schienenverkehrs, andere Baugebiete – vorangebracht werden müssen. Welcher Kandidat oder welche Kandidatin würde sich auf den Posten bewerben, wenn die Mehrheiten für die Wahl und die Durchsetzung der Projekte nicht sicher sind?
Käme es zu einer linksgrünen Koalition, wirkte Ordnungs- und Gesundheitsdezernent Oliver Franz (CDU) als einziger hauptamtlicher CDU-Stadtrat wie ein Fremdkörper im Magistrat. Die Frist, in der eine Stadtverordnetenversammlung einen Stadtrat abwählen kann, ist längst verstrichen. 2022 wird sich viel ändern. Franz kann bis Mitte 2023 im Amt bleiben.