Wiesbaden Filmfestival: Dialog zwischen Ost und West

Das Filmfestival goEast diskutiert russisch-sowjetisches Filmerbe. Auch Umwelt ist ein Thema. Von Johanna Krause
Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine befindet sich die Welt in einem dramatischen Zustand. Die 23. Ausgabe des goEast-Filmfestivals unter dem Titel „Decolonizing the (Post-) Soviet Screen“ richtet mit ihrem vielfältigen und reflektierten Programm ein Augenmerk auf die besonderen Umstände in Mittel- und Osteuropa und schafft dabei einen Dialog zwischen Ost und West. Im Fokus steht, was Osteuropa bewegt. Neue Sichtweisen auf das russisch-sowjetische Filmerbe werden thematisiert und diskutiert, die Bewältigung vergangener Kriege, aber auch Umweltthemen, das Empowerment von (indigenen) Minderheiten und die Frage nach dem Begriff „Dekolonialisierung“ in Europa.
Erstmals eröffnet ein armenischer Film das Festival. „Aurora’s Sunrise“ ist ein Hybridfilm, eine animierte Dokumentation, die den Genozid am armenischen Volk behandelt. Filmemacherin Inna Sahakyan zeigt darin auch Fragmente eines einstmals verschollenen und wiederaufgetauchten Hollywood-Stummfilms.
Weitere Highlights sind „Orange Vests“, ein feministisch-dokumentarischer Filmbrief, außerdem der aus Social-Media-Clips montierte Streifen „Manifesto“ über Gewalt im russischen Schulsystem. „Flotacija“ feiert in Wiesbaden internationale Premiere und erzählt von der Krise der Kupferindustrie im ostserbischen Majdanpek. Zu den Deutschlandpremieren im Wettbewerb gehört „La Palisiada“, das Debüt des Regisseurs Philip Sotnychenko, ein ukrainischer Film noir, der noch während des Ukraine-Kriegs fertiggestellt wurde.
Geschichten von Repression
Ein zweiter Blick richtet sich auf unterrepräsentierte Nationalitäten in der Filmkultur – wie Kirgisistan und das überwiegend buddhistische Kalmückien –, deren Kultur und Sprache bedroht sind. Das Kurzfilmprogramm nimmt indigene und marginalisierte Filmschaffende und Gruppen in den Fokus. Es werden Geschichten erzählt von Repression; schwere Themen, die nicht auf den Krieg alleine reduziert werden.
Das Festival
Im goEast-Wettbewerb konkurrieren aktuelle Filmproduktionen um die von einer internationalen Jury verliehenen drei Hauptpreise des Festivals. Das sind die mit 10 000 Euro dotierte „Goldene Lilie“, der mit 7500 Euro dotierte Preis der Landeshauptstadt Wiesbaden für die beste Regie und der neu ausgelobte und mit 4000 Euro dotierte Ceeol-Preis für den besten Dokumentarfilm.
Die Internationale Filmkritik Fipresci vergibt zwei Preise.
Mittelpunkt des Festivals ist tagsüber das Museum Wiesbaden in der Friedrich-Ebert-Allee 2. Filmtalks jeweils um 22 Uhr im „Clubhouse“ im Alten Gericht, Gerichtsstraße 2.
Das goEast-Festival läuft vom 26. April bis 2. Mai. Tickets und weitere Infos unter: filmfestival-goeast.de prjk
Daneben gibt es auch Amüsantes: Anne Schoeppe, Geschäftsführerin von „Hessen Film“, empfiehlt die Beziehungskomödie „Parade“ über absurde Regeln der katholischen Kirche in Litauen.
Das Festivalbudget ist auf 520 000 Euro angewachsen, die allgemeine Preisexplosion trifft die Veranstalter:innen trotzdem; sie mussten bei Gästeeinladungen, bei Marketing und Reisekosten sparen, wie sie sagen. Das reichhaltige Programm mit 110 Filmvorführungen – davon 16 Wettbewerbsfilme – und Begleitveranstaltungen, bestehend aus Filmtalks, Workshops und Schulvorstellungen für das junge Publikum, betreffe das zum Glück nicht, erzählt Leiterin Heleen Gerritsen.
Auch wenn Russland nach wie vor wichtig für die Vielfalt des internationalen Films ist, hat sich das Festival dazu entschlossen, keine staatlich geförderten russischen Filme zu zeigen und eine Zusammenarbeit mit dortigen staatlichen Organisationen auszuschließen. Das russische Programm fällt aus diesem Grund sehr klein aus und stammt überwiegend von indigenen Minderheiten.
Wiesbaden wird in diesen Tagen zur Hauptstadt des europäischen Films und zum Mittelpunkt wichtigen Austauschs. Das Festival und die Filmschaffenden beleuchten nicht nur Krieg und Krise, sondern bieten dem Publikum auch an, einen erweiterten Blick zu wagen.