„Wiesbaden fehlt eine klare Identität“

Thomas Weichel sieht das „Jahr des Wassers“ als Anstoß für ein neues Image. Die Landeshauptstadt soll sich dadurch als Wasserstadt profilieren.
Wie Wasser die Landeshauptstadt prägt und was sich für die Zukunft daraus machen lässt, erläutert Thomas Weichel. Der promovierte Historiker arbeitet in der Stabsstelle „Wiesbadener Identität, Engagement, Bürgerbeteiligung“.
Herr Weichel, Wiesbaden ruft für 2022 das „Jahr des Wassers“ aus. Wie kam es dazu?
Bereits 2018 überlegten der Leiter der Naturhistorischen Sammlungen des Landesmuseums, Fritz Geller-Grimm, und ich, dass Wasser doch ein tolles Thema für das Museum und die Stadt wäre. Wiesbaden liegt an zwei der wichtigsten Flüsse Deutschlands. Es gibt die Thermalquellen und mit den Taunusstollen eine außergewöhnliche Wasserversorgung. Von den Taunushängen fließen zudem zahlreiche Bäche in die Stadt. Remigius Fresenius, der bedeutendste Wasseranalytiker des 19. Jahrhunderts, arbeitete und gründete sein Institut hier. An der Hochschule Rhein-Main erforscht im Wasserbaulaboratorium seit 2015 die Arbeitsgruppe „Starkregen und Sturzfluten“ Überschwemmungszenarien. Wasser ist also nicht nur ein Thema der Vergangenheit, sondern auch eines der Zukunft: die Sicherung der Wasserversorgung, die Grundwasserbelastung und die Probleme durch Starkregen, aber auch durch Wassermangel.
Indirekt trägt Wiesbaden das Wasser ja bereits im Namen.
Genau. Schon die Römer badeten hier. Der römische Name „Aquae Mattiacae“ bedeutet „die Wasser der Mattiaker“. Die Thermalquellen begründeten die Stadt und machten sie fast 2000 Jahre aus. Doch der Ruhm der Weltkurstadt ist längst verblasst – der Kaiser kommt nicht mehr. Wiesbaden fehlt eine klare Identität.
Aktion
Das „Jahr des Wassers“ beginnt mit dem Internationalen Tag des Wassers am 22. März 2022.
Einen Wandkalender zum „Wiesbadener Jahr des Wassers 2022“ gibt es kostenfrei im Rathaus, Stadtmuseum und Umweltladen sowie in der Tourist-Information und bei den Ortsverwaltungen.
Das Portal „Heimatschule Wiesbaden“ startete 2020. Es ist zu finden unter: heimatschule.wiesbaden.de miu
In der Stabsstelle des Oberbürgermeisters sind Sie seit 2016 auch für das Thema „Wiesbadener Identität“ zuständig. Worin liegt denn das Problem?
In einer Stadt mit einer hohen Fluktuation sind Identität und Identifikation schwierig. So leben etwa von den in Wiesbaden Geborenen nur noch 20 Prozent im Alter von 30 Jahren in der Stadt. In den Schulen gibt es keine verpflichtende Heimatkunde mehr, und die meisten Lehrkräfte stammen nicht aus Wiesbaden. Darum starteten wir voriges Jahr im Lockdown das Portal „Heimatschule Wiesbaden“. Außerdem haben die Stadtteile zum Teil eine ausgeprägte eigene Identität, die stärker ist als die der Gesamtstadt. Bisher gibt es auch kein tolles, integratives Thema. Das „Jahr des Wassers“ ist die Chance, etwas in Gang zu setzen.
Was erhoffen Sie sich für die Stadt im Hinblick auf ihre Identität und ihr Image?
Dass all das hier vorhandene Wasser stärker ins Bewusstsein der Einwohner und ihrer Gäste rückt und sich Wiesbaden tatsächlich als Wasserstadt profiliert. Solche Veränderungen der Identität und des Images erfordern zum einen eine inhaltliche Grundlage. Die ist gegeben. Zum anderen müssen sie mit einer gewissen Hybris betrieben werden, etwas zu behaupten, was man noch gar nicht ist. Es muss eine Agenda sein, die gelebt wird. Die darf anfangs auch mal eine Nummer größer sein als die Wirklichkeit. Die Behauptung, Wiesbaden sei eine Weltkurstadt, ist 1844 nachgewiesen – zu einem Zeitpunkt, als die Stadt alles andere als Weltkurstadt war. 60 Jahre später war es tatsächlich so. Und drittens braucht es den politischen Willen, indem man Stadtpolitik und -planung entsprechend ausrichtet, um weitere Firmen und Einrichtungen anzusiedeln, die sich mit Wasser auseinandersetzen. Dieser Wille ist ohne Zweifel vorhanden. Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende hat mit Amtsantritt die Chance erkannt, die in dem Thema liegt. Für das „Jahr des Wassers“ holten wir zum Beispiel aktiv die Jahrestagung der Wasserchemischen Gesellschaft im Mai ins Kurhaus.
Auf welche Höhepunkte im Veranstaltungsprogramm für das „Jahr des Wassers“ darf man sich jetzt schon freuen?
Das Museum Wiesbaden zeigt zwei große Ausstellungen, „Vom Wert des Wassers“ sowie „Wasser im Jugendstil“ und das Stadtmuseum welche zu den Römern und dem Kurbetrieb. Wir planen mit der Mittelschule Dichterviertel das Projekt „Überall Wasser“. Die gesamte Schülerschaft führt an einem Tag in der Innenstadt 20 kleine Performances auf. Bislang umfasst das Programm gut 50 Veranstaltungen. Aktuell steht das Programm – wenn aber Vereine, Initiativen oder Einzelpersonen sich noch beteiligen wollen, dann können sie das, wenn sie ein fertiges Konzept haben und dieses ohne organisatorische oder finanzielle Unterstützung der Stadt umsetzen können. Der Meldeschluss für das gedruckte Programm ist der 15. Dezember.
Interview: Mirjam Ulrich