Wie Wiesbadens Wohnquartiere autoarm werden können

Zivilgesellschaftliche Initiativen haben Superblock-Konzepte für Wiesbadens dichtbesiedelte Wohnviertel entwickelt. Die Stadt präferiert einen schrittweisen Umbau weg vom Auto.
Aus dem Rheingauviertel soll der Autoverkehr verbannt werden – zunächst für zwei Tage. Zivilgesellschaftliche Initiativen setzen sich dafür ein, in Wiesbaden dauerhaft autoarme Quartiere, sogenannte Superblocks, einzurichten. Die Stadt ist offen für Ideen, bei der Umsetzung aber zurückhaltend. Anders in Darmstadt: Dort will die Politik erproben, wie sich ein bestehendes Quartier autoarm umwandeln lässt. In Mainz werden zwei Straßenabschnitte von 12. bis 21. Mai für den Durchgangsverkehr gesperrt und zur Spielstraße umgewidmet.
Das Modell der Superblocks ist von Barcelona ausgehend zum Vorbild für andere Städte geworden. Ein hohes Verkehrsaufkommen, mehr private Fahrzeuge, die im öffentlichen Raum parkten und den Fußgänger:innen weniger Platz ließen, Unfälle, Lärmbelästigung und fehlendes Grün veranlassten schon Anfang der 2000er-Jahre die ersten Bezirke in der katalanischen Metropole, über ein Konzept zur Verkehrsberuhigung nachzudenken.
Wiesbaden habe ähnliche, teilweise noch größere Probleme mit dem Durchgangsverkehr als Barcelona oder Darmstadt, sagt Alexander Mehring. Er ist Vorsitzender des Vereins „Wiesbaden neu bewegen“. Superblocks seien ein Werkzeug, um einige dieser Probleme zu lösen. Der Verein hat Leitsätze erarbeitet, geeignete Quartiere definiert und ein Konzept entwickelt, wie sich die Superblock-Idee dort stufenweise umsetzen ließe.
Ausarbeitungen für den Ortsbezirk Mitte sind in Arbeit, für das Rheingauviertel liegen sie vor und sind auf der Internetseite des Vereins einsehbar. Autoverkehr müsse nicht zwingend verboten werden. „Aber es muss auf weniger Autos hinauslaufen.“
Wiesbadens Gründerzeitviertel wie das Rheingau- oder das Dichterviertel sind eng bebaut, dicht besiedelt, die Hauptverkehrsstraßen um diese Viertel hochbelastet. Schleichwege führen deshalb durch die Wohnquartiere. Es fehlt an Grün und Spielplätzen.
Zwei Tage ohne Autos
Der Superblock 2023 ist für 15. und 16. Juli im Bereich Eltviller/ Marcobrunner/ Rüdesheimer/ und Rauenthaler Straße geplant, die für den Verkehr gesperrt werden. Ersatzparkplätze stehen kostenfrei an der Hochschule Rhein-Main zur Verfügung.
Besucher:innen können erkunden, welche Möglichkeiten sich bieten, den öffentlichen Raum neu zu nutzen. Ideen dazu sind gefragt.
Angedacht sind unter anderem Spielaktionen, Informationsveranstaltungen, ein Flohmarkt, Unterhaltung auf der Bühne. Der Sonntag startet mit einem „Frühstück uff de Gass“.
Interessentinnen und Interessenten melden sich bei der Initiative: info@rheingauviertel.org diu
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Wie es sich anfühlt, wenn das Blech weg ist und die Straße den Menschen gehört, konnten die Wiesbadenerinnen und Wiesbadener im Juli vorigen Jahres während des Superblock-Sonntags im Rheingauviertel, in Mitte und im Dichterviertel erleben. Der Tag sei mit 10 000 Menschen, die auf der Straße tanzten, spielten, flanierten oder plauderten ein großer Erfolg gewesen, erzählt Leila Haas. Sie engagiert sich in der Kiez-Initiative Superblock Rheingauviertel, die im Juli – unterstützt vom Ortsbeirat und der Stadt – ein Superblock-Wochenende organisiert. Die Initiative verfolgt aber noch ein weiteres Ziel: Sie will die Diskussionen über das Konzept in die Praxis bringen. „Sympathien sind da, das spüren wir.“ Aber es gibt auch Vorbehalte.
Um diese abzubauen, eigne sich ein solches Wochenende. „Die Straße als Wirkungsstätte: Wir wollen den Leuten zeigen, wie sich das anfühlt.“ Alle Menschen – Anwohner:innen, Interessierte, Befürworter:innen wie Gegner:innen – sollen sich eingeladen fühlen. Am 15. und 16. Juli wird das Carrée Eltviller / Marcobrunner / Rüdesheimer / Rauenthaler Straße für den Verkehr gesperrt. Im Rheingauviertel wird seit Jahren das Rüdesheimer Straßenfest gefeiert – dafür wird die Straße autofrei gehalten. Die Initiative greift bei ihrer Arbeit und der Organisation des Wochenendes auf Erfahrungen und Expertise im Viertel zurück. Alexander Mehring, Leila Haas und ihre Mitstreiter:innen sind überzeugt: Wenn der politische Wille fehlt, muss der Impuls von zivilgesellschaftlichen Initiativen ausgehen. Ihr Engagement wird gebraucht, damit sich etwas verändert.
Die Stadt ist der Superblock-Idee nicht abgeneigt, verfolgt nach eigenen Angaben ähnliche Ziele, will aber in kleineren Schritten vorgehen. Ein Pilotversuch wie in Darmstadt ist in Wiesbaden nicht geplant. „Wir nutzen den Begriff ,Superblock‘ nicht“, sagt Jakob Hebsaker von der Stabsstelle Mobilitätskonzepte im Verkehrsdezernat, „bedienen uns aber der Instrumente.“
Wiesbaden muss wie andere Städte einen Paradigmenwechsel vollziehen: Weg von der autogerechten hin zu einer klima- und sozialgerechten Stadt. Je nach Ziel verfügen die Verkehrsplaner:innen über verschiedene Instrumente. Soll der Durchgangsverkehr reduziert werden, können Diagonalsperren eingesetzt werden. Mit Barrieren wird die Mitte einer Kreuzung diagonal geteilt, sodass Autos an der Durchfahrt gehindert werden. Solche Sperren gibt es in Wiesbaden.
Eine weitere Möglichkeit ist die Ausweisung von Einbahnstraßen. Die Stadt versuche, quartiersbezogen den Verkehr zu ändern und zu reduzieren. „Gerade in den Gründerzeitvierteln werden wir viel machen.“ Von weniger Lärm, weniger Abgasen oder mehr Sicherheit profitierten letztlich alle.