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Verdi Wiesbaden: Zwölf-Stunden-Schichten nicht auf Dauer

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Von: Madeleine Reckmann

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Pflegekräfte auf den Intensivstationen brauchen Entlastung und mehr Geld.

Auch in den Krankenhäusern sollen strenge Corona-Regeln gelockert und wieder nicht lebensnotwendige Operationen durchgeführt werden. Anja Golder von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi berichtet, welche Probleme sich daraus ergeben.

Frau Golder, wie geht es den Ärzten und Pflegekräften in dieser Phase der Corona-Pandemie?

Alle sind glücklich, dass die Pandemie nicht die Ausmaße wie in Italien und Spanien angenommen hat und die Covid-19-Patienten adäquat behandelt werden können. Es ist zu keinem Versorgungsengpass gekommen.

Wie viele Corona-Patienten wurden in Wiesbaden behandelt?

An der Schwerpunktklinik Helios Horst-Schmidt-Kliniken hat es sich bei zehn bis 20 Patienten gleichzeitig auf der Intensivstation eingependelt. Die höchste Tagesauslastung betrug unter 25 Patienten. Am St.-Josefs-Hospital waren es immer unter fünf Corona-Patienten auf der Intensivstation.

Der Bundesgesundheitsminister hat entschieden, dass die nicht dringlichen Eingriffe wieder auf den Stand von 75 Prozent von vor der Krise hochgefahren werden sollen.

Das ist durchaus sinnvoll, denn jede verschobene elektive Operation kann irgendwann zum Notfall werden. Aus gewerkschaftlicher Sicht haben wir aber Sorge, dass der zuvor schon bestehende Fachkräftemangel zur dauerhaften Belastung für die Pflegekräfte wird. Denn ein Teil der Intensivbetten muss für Corona-Patienten reserviert bleiben. Das kann bedeuten, dass die Ausnahmebewilligung für Zwölfstundenschichten über den 31. Juli hinaus verlängert wird.

Anja Golder ist seit September 2017 Gewerkschaftssekretärin bei Verdi. Sie ist zuständig für Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen.
Anja Golder ist seit September 2017 Gewerkschaftssekretärin bei Verdi. Sie ist zuständig für Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen.

Die Zwölfstundenschichten wurden eingeführt, um die Versorgung auf den Intensivstationen zu gewährleisten.

Die Beatmung von Covid-19-Patienten ist sehr pflegeintensiv, die Pflegekräfte sind oft die ganze Zeit auf den Beinen und oft nach sieben, acht Stunden völlig erschöpft. Für Arbeitskräfte mit Familie ist so ein Alltag nicht lange durchzuhalten. Denn die Leute sind sehr lange unterwegs, der Weg zur Arbeit, duschen, schlafen, essen, da bleibt keine Zeit für anderes. Die drei freien Tage reichen nicht aus, um sich zu erholen. Die Bundesverordnung zu den Personaluntergrenzen sieht vor, dass nachts eine voll ausgebildete Pflegekraft für 3,5 und tags für 2,5 Patienten da sein muss. Tags dürfen nur acht Prozent der Pflegekräfte Hilfskräfte sein, nachts keine. Wenn die Untergrenzen wieder in Kraft gesetzt werden, muss die Anzahl der Intensivbetten reduziert oder die Zwölfstundenschichten beibehalten werden.

Wie viele Menschen sind von der Betriebsvereinbarung an den HSK in Wiesbaden betroffen?

Ungefähr hundert Personen. Am St.-Josefs-Hospital wird weiterhin in Achtstundenschichten gearbeitet. Das liegt daran, dass die Intensivstation nicht so stark belastet ist. Im Paulinenstift sind wegen seines Schwerpunkts in der Geburtshilfe ohnehin weniger Covid-19-Patienten, dort ist das Thema nicht so virulent. Aber die HSK haben die Zwölfstundenschichten Ende März eingeführt. Es zeigt sich jetzt, dass die Kliniken, die vor der Corona-Krise strukturell besser aufgestellt waren, besser durch die Krise kommen. Im Gegensatz zur HSK hat am Joho keine Massenentlassung stattgefunden.

Was fordern Sie zur Entschärfung der Lage?

Es fehlt eine Kampagne, um ehemalige Pflegekräfte wieder in den Beruf zurückzuholen. Der Beruf muss aufgewertet werden. Eine Intensivpflegefachkraft hat eine dreijährige Ausbildung und zwei Jahre Weiterbildung hinter sich. Vergleichbare Industriearbeitskräfte stehen finanziell besser da. Auch die Pflege braucht eine bessere Bezahlung. Außerdem fordern wir kurzfristig, dass die Pflegepersonaluntergrenzen wieder in Kraft gesetzt werden, und mittelfristig klare Personalvorgaben und nicht nur Untergrenzen. Wir befürchten, dass die schwierigen Arbeitsbedingungen während der Corona-Zeit benötigte Pflegekräfte zusätzlich aus dem Beruf treiben.

Warum geben die HSK nicht Corona-Patienten an andere Kliniken ab?

Die HSK sind vom Land zum Schwerpunktzentrum ernannt worden. Ich möchte die Arbeit der Kollegen nicht schmälern, dort wird die Corona-Krise gemeistert. Aber natürlich ist der Helios-Konzern gewinnorientiert. Würde er Patienten abgeben, verdiente er weniger.

Gibt es auch positive Corona-Auswirkungen?

Für ungefähr drei Wochen hatten die Rettungskräfte deutlich weniger zu tun und konnten in ihren regulären Zwölfstundenschichten auch mal Pause machen. Seit letzter Woche steigt die Zahl der Einsätze wieder an.

Interview: Madeleine Reckmann

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