Symbol für „totalen Wahnsinn“

Spaziergang durch die Innenstadt mit alten „Straßenkämpfern“ zum Tag der Städtebauförderung.
Schattenspendende Bäume erfreuen Anwohnende und Passant:innen im Sommer. Am Brunnen kann man verweilen und einen Kaffee oder ein Kaltgetränk am plätschernden Wasser genießen, das die Gespräche der Nachbarn akustisch verwässert. Das Wohnambiente zu beiden Seiten ist gediegen und hochwertig zugleich.
Die Adolfsallee ist ein Musterbeispiel für Wiesbaden als „Stadt des Historismus“. Mit diesem Markenbegriff strebte Wiesbaden einst die Aufnahme in den illustren Kreis der Städte an, die sich mit dem UNESCO-Weltkulturerbe-Status schmücken können.
Ein „Symbol für den totalen Wahnsinn der Stadtplanung“ nennt Jörg Jordan noch heute die Ideen zur Umgestaltung der Adolfsallee in den späten 60er Jahren. Die Begründung für diese Einschätzung liefert der Treffpunkt an der Ecke Herrngartenstraße zum Stadtspaziergang mit Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende (SPD) und vielen anderen Interessierten, darunter einigen Alt-Jusos, die damals gegen den Wahnsinn gekämpft haben.
Es ist „Tag der Städtebauförderung“ am Samstag, der ehemalige Stadtentwicklungs- und Baudezernent Jörg Jordan (SPD) plaudert beim Spazierengehen aus dem Nähkästchen der Stadtplanung Anfang der 70er-Jahre. Später wurde der einstige Juso-Vorkämpfer auch Minister für Landesentwicklung und Wohnen im Kabinett Eichel.
In der heutigen Darstellung sind die Jusos und die SPD sozusagen die Retter des Historismus, denn ernsthaft diskutiert wurde in der damaligen Großen Koalition über ganz andere Stadtplanungskonzepte. Nämlich auf Grundlagen der Ideen des „Vaters der Trabantenstädte“, wie der visionäre Architekt und Stadtplaner Ernst May gerne genannt wurde.
Dann hätte man sich am Samstag nicht am lauschigen Brunnen zwischen den Fahrbahnen der Adolfsallee getroffen, sondern auf der Mittelinsel einer Stadtautobahn von der Biebricher Allee in die City. Die Häuser wären abgerissen worden, bis zu 150 alte Häuser und Villen hätten fallen sollen in der Kurstadt, auch für die Vision der „City Ost“ östlich der Wilhelmstraße und ein neues Bergkirchenviertel. Ein „einzigartiges historisches Erbe, das wir Jörg Jordan zu verdanken haben“, sagt OB Mende heute im Überschwang. Nicht autogerecht, sondern menschengerecht und eben keine „Bürokratenstadt“ mit Blick auf die angedachte „City Ost“.
Es muss ein legendärer Parteitag gewesen sein, als die Jusos ihre SPD überzeugt haben, gegen den „totalen Wahnsinn“ aufzubegehren. Das Volk goutierte die Entscheidung gegen die Zerstörung der Historie bei der nächsten Wahl mit 52 Prozent der Wählerstimmen für die SPD, die fortan mit der FDP koalierte. Und ab 1973 mit Jörg Jordan den wichtigsten Stadtplaner stellte.
Um „gestern, heute und morgen“ sollte es beim Stadtspaziergang zu einigen Brennpunkten gehen. Mit Jordan für den Blick zurück und Mende, der für das Morgen sprechen sollte. Vor allem, was aus der heutigen City mit vielen Leerständen und Baustellen werden könnte. Aus Mahnmalen, die keine Zukunft mehr haben, wie der riesige Galeria-Kaufhof-Komplex mit der markanten „Eisermann-Fassade“, die vielleicht unter Denkmalschutz gestellt wird. Auch die City-Passage hat nicht überlebt, weil „Passagen nicht mehr funktionieren“, so Mende; oder das längst mehr als mürbe Walhalla, der einstige Kultort mit Geschichte, den die Stadt schon 2007 angekauft hat.
Und zum Abschluss der Prozession der Kranzplatz mit dem Kochbrunnen, der ziemlich unaufgeräumt und planlos arrangiert daherkommt. „Den Platz wollen wir umgestalten. Da gibt es viel zu tun, weil viele Ämter mitreden“, sagt Mende. Beim Walhalla sei ein Nutzungskonzept in Arbeit, „da wollen wir Drive geben, um Fördermittel vom Land zu bekommen“. Es eilt, bis 2024 muss etwas passiert sein. Das Projekt könnte 50 Millionen Euro kosten. „Die City-Passage wird sich entwickeln, da gibt es tolle Pläne“, sagt der OB. „Noch keine tragfähigen Pläne“ gebe es indes für den Komplex Galeria-Kaufhof.