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Proteste gegen Anna Netrebko bei Maifestpielen in Wiesbaden

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Von: Madeleine Reckmann

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Mit der Hand auf dem Herzen singen viele Menschen die ukrainische Nationalhymne mit.
Mit der Hand auf dem Herzen singen viele Menschen die ukrainische Nationalhymne mit. © Michael Schick

Etwa 350 Menschen demonstrieren gegen den Auftritt der Sopranistin Anna Netrepko auf den Maifestspielen in Wiesbaden.

Wiesbaden - Es ist ein bewegender Moment, als am Freitagabend (5. Mai) Teile des Orchesters des hessischen Staatstheaters unter den Platanen gegenüber des Haupteingangs zum Theater die Europa-Hymne und später die ukrainische Hymne spielen. Etliche der geschätzten 350 Demonstrierenden singen beide Texte mit, die einen laut, die anderen leise, viele mit der Hand auf dem Herzen und der ukrainischen blau-gelben Flagge um die Schultern; einzelne haben Tränen in den Augen.

Die Demonstration gegen den Auftritt der russische Sopranistin Anna Netrebko im Staatstheater ist ungeheuer emotional. „Die Musiker sind vertraglich verpflichtet, im Theater zu spielen“, erklärt Peter Niederelz, Vorsitzender der Europa-Union, der die Kundgebung organisierte, warum die Musiker und Musikerinnen später ins Theater wechseln. Ein Statement möchten sie nicht abgeben. Die Musik ist ihre Sprache.

Demonstration gegen Auftritt von Anna Netrebko in Wiesbaden

Es ist eine halbe Stunde vor Beginn der Oper „Nabucco“, in der Netrebko als Abigaille auftritt. Die Oper wird im Rahmen der Maifestspiele gegeben, die den politischen Gefangenen weltweit gewidmet ist. Die Zeile aus dem Gefangenenchor „Flieg, Gedanke auf goldenen Schwingen“ ist ihr Motto. Das empfinden viele Anwesende als Hohn. Netrebko habe ihren 50. Geburtstag groß im Kreml gefeiert und sich nie eindeutig vom russischen Präsidenten Putin distanziert, sagt Niederelz. Deshalb sei er fassungslos, dass Netrebko eingeladen worden sei.

„No Netrebko“ skandiert die Menge. „Russian culture sponsors the war“ steht auf einem Schild, andere zeigen Fotos der Kriegsgräuel in der Ukraine. Die Operngäste vor dem Theatereingang schauen sich mit einem Glas Wein in der Hand die Kundgebung gelassen und interessiert an. „Ich finde die Demonstration gut“, sagte eine Besucherin, die ihren Namen nicht nennen möchte, „ich bin bestimmt keine Putinfreundin.“ Aber die Freude an der Kunst sei zu verlockend, um auf den Opernbesuch zu verzichten. Die Oper ist an diesem Abend ausverkauft. Netrebko gibt ihr Rollendebüt im großen Haus.

„Idee von künstlerischer Freiheit“ des Intendanten macht Netrebko-Auftritt bei Maifestpielen möglich

Im Vorfeld wollten das Land Hessen und die Stadt Wiesbaden Netrebkos Auftritt verhindern. Der Intendant des Wiesbadener Staatstheaters, Uwe-Eric Laufenberg, setzte seine Idee von künstlerischer Freiheit jedoch durch.

Aktivistinnen protestieren gegen Netrebkos Auftritt.
Aktivistinnen protestieren gegen Netrebkos Auftritt. © Michael Schick

Viele Ukrainerinnen und Ukrainer sind dem Aufruf der Europa-Union Wiesbaden gefolgt, einige kommen von weither, aus München und aus Rheinland-Pfalz. Aber auch Deutsche sind unter den Demonstrierenden. Roswitha Lange aus Wiesbaden ist empört, dass Netrebko singen darf. „Ich möchte ein Zeichen setzen, dass Kultur niemals unpolitisch ist“, sagt Bernd Hartmann aus dem Kirner Land. Ukrainische Aktivistinnen verteilen Handzettel mit einem Foto, das Netrebko mit einem prorussischen Separatisten zeigen soll. Junge Mädchen in Tracht mit Blumenkränzen im Haar singen ukrainische Volkslieder, später spielt ein Mann Geige und wieder singen viele Menschen mit.

„Es gibt Tage, da muss man sich als Künstler positionieren. Das hat Netrebko versäumt“, sagt der Europaabgeordneter für Hessen, Michael Gahler, ins Mikrofon. Ihre Kritik am russischen Präsidenten Putin sei unglaubwürdig. Wenn der Gefangenenchor in Nabucco gleich singe, so Gahler, sollten die Zuhörer:innen die Ukraine im Herzen haben und nicht Netrebko. Der Generalkonsul der Ukraine Vadym Kostiuk dankt für die Solidarität mit seinem Land. (Madeleine Reckmann)

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