Im Ostfeld zu bauen geht nur unter strengen Bedingungen

Wiesbadener Klimaschutzbeirat legt Positionspapier zum Stadtentwicklungsprojekt vor / Studie soll emissionsfreie Wege aufzeigen
Über ein Jahr haben die Mitglieder des Wiesbadener Klimaschutzbeirats an einem Positionspapier zum Stadtentwicklungsprojekt Ostfeld/Kalkofen getüftelt. Sie haben um Formulierungen gestritten, sie verworfen und wieder Anlauf für neue genommen. Die Aufgabe war schwierig: Wie lässt sich der Bau eines Stadtquartiers auf Äckern im Osten der Landeshauptstadt mit dem Klimaschutz vereinbaren? Klimaschützer:innen sagen: „Gar nicht“, Vertreter:innen aus Politik und Wirtschaft verweisen auf Wohnungsnot und ökonomische Interessen.
Jetzt liegt das Papier vor. Wer ein klares Bekenntnis für oder gegen die Bebauung erwartet hat, wird enttäuscht. „Man kann bauen“, fasst der Beiratsvorsitzende Martin Lommel zusammen, „aber nur unter bestimmten Bedingungen.“ Die Bedingungen sind ambitioniert. Der Beirat hat nur empfehlende Funktion. Lommel, Kanzler der Hochschule Rhein-Main, ist sich sicher, dass die Verantwortlichen das Positionspapier mit Interesse wahrnehmen. Von den 16 Mitgliedern im Beirat enthielten sich drei, die anderen stimmten zu.
Der Beirat spricht sich zwar für maximalen Klimaschutz im Bau aus, zeigt aber gleichzeitig dessen Grenzen auf. Wichtigste Erkenntnis ist, dass aus Sicht des Beirats der Bauvorgang, also das Baggern und Betonieren, nicht klimaneutral vonstattengehen könne. „Wir haben zwischen Bau und Betrieb des Stadtteils unterschieden“, sagt Lommel.
Das Errichten des neuen Stadtviertels für etwa 10 000 Bewohner:innen werde die Klimabilanz erheblich verschlechtern, so dass die Stadt ihre Klimaziele nicht einhalten könne. Die Stadt hat sich verpflichtet, bis 2030 im Vergleich zu 1990 55 Prozent weniger Treibhausgas auszustoßen. Bislang wurde das Ziel weit verfehlt. Wenn im Ostfeld also gebaut würde, so die Folgerung, müsse „Klimaschutz bei der Stadtentwicklung in all seinen Ausprägungen vor anderen berechtigten Interessen priorisiert werden“, heißt es da. Im Klartext: Klimaschutz mit Volldampf verstärken, sofort und überall.
Aufgeben möchte der Beirat das Projekt aber nicht. Als Lösung für den eigentlich unlösbaren Konflikt bietet er an, dass sich das neue Stadtviertel mit lokal produzierter Energie selbst versorgen solle. Es solle sogar so viel Strom oder Wärme herstellen, dass damit auch die Reststadt beliefert werden könne, so dass der Stadtteil rechnerisch zur künftigen Klimaneutralität der Gesamtstadt beiträgt. Der Beirat legt die Latte noch höher. Wer im Ostfeld wohnt, für den solle „ein Leben mit Nullemission“ möglich sein.
Zudem sei ein „ganzheitlicher Ansatz“ notwendig. Außer Klimaschutz gelte es, Ressourcenverbrauch, Artenvielfalt, Stadtteilklima und Wohnqualität Rechnung zu tragen. Der Stadtteil dürfe den Wassermangel in der Region nicht erhöhen.
Um all das zu schaffen, regt der Beirat eine Potenzialstudie an, die aufzeigt, unter welchen Voraussetzungen das Stadtentwicklungsprojekt so klimafreundlich wie möglich realisiert werden kann. Er hält es für möglich, dass das Ergebnis die Wirtschaftlichkeit infrage stellt. „Die Energiegewinnung auf dem Areal hat Grenzen“, erklärt Lommel. Möglicherweise könnten weniger Menschen klimaneutral mit Energie versorgt werden, als nach jetzigen Vorstellungen dort wohnen sollen. „Wir erreichen die Klimaschutzziele nicht, wenn wir uns in die Tasche lügen“, sagt Lommel. Zudem sei eine wissenschaftliche Begleitforschung erforderlich, die auch die Baukonstruktion berücksichtige.