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Die gute Seele vom Schlachthof

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Von: Ute Fiedler

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Trägt meistens eine Kappe: Hans vom Schlachthof.
Trägt meistens eine Kappe: Hans vom Schlachthof. © Frank Meißner

Seit zwölf Jahren arbeitet Hans, der eigentlich Emil heißt, auf dem Gelände

Es war ein lauer Sommerabend vor zehn Jahren, als aus Emil Hans wurde. Eine Gruppe Jugendlicher grillte gerade auf dem Schlachthof-Gelände, als einer der Jungs Emil entdeckte, der dort Flaschen aufsammelte. „Ich heiße Hans“, rief er dem Mann zu. Und: „Du bist auch ein guter Kerl. Und deswegen bist du nun auch Hans.“ Seitdem heißt Emil Hans und will seinen echten Namen eigentlich gar nicht preisgeben, weil viele ihn eben nur als Hans kennen. Oder als namenlose gute Seele des Schlachthofs, an den der 71-Jährige sein Herz verloren hat.

Die Menschen dort sind seine „Schlachterfamilie“. Für die er immer ein offenes Ohr hat. Der er nachts beim Autoreifenwechseln oder aus der Patsche hilft, wenn mal das Geld fürs Zugticket fehlt und für die er stets ein freundliches Wort übrig hat. Dafür lieben die jungen Leute den Mann mit den braunen Augen und dem schlohweißen Haar, das er meist unter einer Baseballkappe versteckt.

Hans kennt sie alle und darf auch mal rumkritteln: „Mädle, wie geht’s? Mensch, mach dein Studium fertig“, sagt er zu einer jungen Frau, die gerade das Gelände des Schlachthofs passiert. Und tätschelt ihren Arm, sie lächelt, hört ihm geduldig zu und nickt – Hans darf das eben.

Der 71-Jährige ist Hausmeister, Seelentröster und Aufpasser in einem. Er weiß um das schlechte Image des Kulturparks, das seit dem Tod eines 18-Jährigen eine lange Zeit lang wie Klebstoff an dem Gelände haftete. Doch das will er nicht gelten lassen. „Auf dem Schlachthof passiert nix, hier passt einer auf den anderen auf. Was auf dem Heimweg passiert, darauf haben wir keinen Einfluss.“ Seit mehr als zwölf Jahren, seit er in Rente ist, sammelt Hans die achtlos weggeworfenen Flaschen am Schlachthof ein. Früher, als kleiner Junge, wurde er von seinen Eltern dorthin zum Einkaufen geschickt. Fleisch und Wurst landeten in seinem Körbchen, und manchmal sprang auch ein Extra-Frühstück dabei heraus. Die Schlachter, die Verkäufer, alle kannten den Jungen und mochten ihn.

In den Sommermonaten, wenn es auf den Wiesen des Kulturparks nach Gegrilltem riecht, könnte Hans tagelang überleben, ohne auch nur einmal seinen Kühlschrank zu Hause zu öffnen. „Dann kriegt man hier ne Wurst, dort ein Steak“, sagt Hans und winkt ab. „Soviel kann ich gar nicht essen.“

Auch im Internet ist Hans ein Phänomen. Obwohl er selbst gar keinen Computer besitzt, sind mehr als 1000 Freunde mit ihm über Facebook verbandelt. Seine „Schlachterjungs“ pflegen die Seite und tun damit auch was fürs eigene Image: Hans ist Kult. Er ist das Gesicht des Schlachthofs, der Mann, der bei Konzerten auch mal auf die Bühne geholt wird, der auf dem CD-Cover einer Band abgebildet ist, und nach dem ein Besucher sein Kind genannt hat.

Hans hat einen Sohn und eine Frau, die manchmal mit zum Schlachthof kommt, aber das eigentlich nicht recht verstehen kann, was er da macht – ehrenamtlich, denn für sein Engagement erhält er kein Geld. „Ich hatte mal ein Angebot für einen 400-Euro-Job. Ich habe 48 Jahre lang gearbeitet, ich will mich jetzt nicht mehr binden.“ Emil war früher Gärtner, dann schulte er um zum Schlosser, harte Arbeit, die an seinem Körper Spuren hinterlassen hat. Und die ihm nicht das hat geben können, was er jetzt in so großem Maße bekommt: Anerkennung.

Wer Hans in Aktion erleben will, kommt am Samstag, 14. April, aufs Schlachthof-Gelände. Dort grillt der 71-Jährige ab 17 Uhr.

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