Frühere Awo-Chefin Hannelore Richter muss eine Dreiviertel Million zurückzahlen

Arbeitsgerichte urteilen über Scheinarbeit und zu hohe Gehälter in der Wiesbadener und Frankfurter Arbeiterwohlfahrt.
Weil sie vom Wiesbadener Kreisverband der Arbeiterwohlfahrt (Awo) Geld erhalten hat, ohne dafür zu arbeiten, ist eine 35-Jährige vor dem Arbeitsgericht Freiburg zur Rückzahlung von 70 000 Euro nebst Zinsen verurteilt worden. Der Fall ist einer von einigen Verdachtsfällen von Scheinarbeitsverhältnissen bei den Awo-Verbänden Frankfurt und Wiesbaden.
Der Sachwalter Jan Markus Plathner im inzwischen beendeten Insolvenzverfahren über das Wiesbadener Awo-Vermögen forderte das Geld zurück. Laut Arbeitsgericht führte der Sachwalter auch ins Feld, dass der Vater der Frau, der frühere Wiesbadener CDU-Stadtverordnete Wolfgang Gores, „als gewichtige Stimme im Sozialausschuss“ beeinflusst werden sollte. Nach Überzeugung des Gerichts seien sich die Frau und Vertreter des Awo-Kreisverbandes einig gewesen, dass ohne Gegenleistung gezahlt werde, heißt es in einer Mitteilung.
In den Jahren 2017 bis 2019 überwies der Wiesbadener Kreisverband der inzwischen in Freiburg wohnenden Ethnologin ein Gehalt von etwa 2000 Euro im Monat, damit sie in der Flüchtlingsberatung im Henriette-Fürth-Haus in Frankfurt tätig werde, sagt ihr Rechtsanwalt Bernhard Lorenz. Da weniger Flüchtlinge als erwartet versorgt werden mussten, habe es keine Arbeit für die Frau gegeben. Obwohl sie mehrmals nach Aufgaben nachgefragt habe, seien ihr keine zugewiesen worden.
Prominenter ist der Fall der früheren Geschäftsführerin Hannelore Richter, die vom Arbeitsgericht Wiesbaden verurteilt wurde, eine Dreiviertel Million Euro zurückzuzahlen. Auch dieses Verfahren hatte der Sachwalter angestrengt. Das Geld, laut Arbeitsgericht exakt 746 802 Euro, war seit 2017 aus zu viel gezahlten Gehältern angefallen. Es soll an die Gläubiger des Wiesbadener Kreisverbands gehen. Der seit 2020 amtierende Wiesbadener Awo-Vorsitzende Wolfgang Hessenauer, der sich die Aufklärung der Machenschaften in der Awo zur Aufgabe machte, hatte einmal gesagt, dass das Gehalt von Hannelore Richter an das der Bundeskanzlerin herangereicht habe.
Die Wiesbadener und Frankfurter Awo stehen seit Jahren wegen üppigen Gehältern und Zulagen in der Kritik. Unabhängig von diesen Arbeitsgerichtsverfahren ermittelt die Frankfurter Staatsanwaltschaft gegen Hannelore Richter, ihren Mann Jürgen Richter, früherer Vorsitzende des Frankfurter Awo-Kreisverbands, und weitere Verantwortliche wegen Untreue und Betrugs. Der FAZ zufolge hat die Staatsanwaltschaft allein für den Frankfurter Verband fast 40 Verdachtsfälle und für den Wiesbadener Verband und den dortigen Förderverein Robert-Krekel-Haus 80 Verdachtsfälle von Scheinarbeitsverhältnissen ausgemacht, darunter auch der heutige Wiesbadener Sozialdezernent Christoph Manjura (SPD).
Die beiden Niederlagen in den Arbeitsgerichtsverfahren lässt Rechtsanwalt Lorenz nicht auf sich sitzen. In beiden Fällen möchte er in Berufung gehen, sobald das schriftliche Urteil vorliegt, sagt er der FR auf Anfrage. Die hohe Vergütung für Hannelore Richter begründet Lorenz mit ihrer Tätigkeit als Sonderbeauftragte in Frankfurt für Altenheime, Kindertagesstätten und Flüchtlingsarbeit, wofür sie zusätzlich zu ihren Geschäftsführungsaufgaben verantwortlich war. Lorenz verweist darauf, dass das Geld vom Frankfurter Kreisverband gezahlt worden sei und daher nicht an Wiesbaden zurückgezahlt werden könne.
Ähnliches gelte für den Fall der Ethnologin. Sie sei damals zwar von der Awo Wiesbaden angestellt worden, habe aber in Frankfurt tätig sein sollen, wofür laut Lorenz der Frankfurter Verband die volle Summe an Wiesbaden zahlte. Lorenz begründet die Berufung auch damit, dass es Sache des Arbeitgebers sei, den Mitarbeiter:innen Aufgaben zu geben. Eine Mitarbeiterin könne nicht für die Versäumnisse verantwortlich gemacht werden.