Die Erde mit den Füßen küssen

Das Festival „Wiesbaden tanzt“ will bei den Besuchern Freude an der Bewegung wecken.
Von Mirjam Ulrich
Die zahlreichen Zuschauer klatschen im Rhythmus mit, etliche zücken die Smartphones, um zu filmen. An der „Tanzstelle“ auf dem Mauritiusplatz führt bei „Wiesbaden tanzt“ eine Gruppe Kinder Videoclip-Dancing vor, also so zu tanzen wie die Stars im Musikvideo. Zu den jungen Tänzern gehört auch der zehnjährige Ole. „Es macht Spaß, wenn man dafür Applaus bekommt“, sagt er nach dem Auftritt.
Im Publikum steht Monika Fuchs aus Wiesbaden. Sie ist mit ihren Töchtern zum ersten Mal zu „Wiesbaden tanzt“ gekommen. Die Mädchen wollen tanzen lernen, diese Woche gehen sie das erste Mal ins Probetraining, erzählt die Mutter. „Da sind dann weniger Leute drumherum.“ Die 37-Jährige tanzte in ihrer Jugend selbst sehr viel, machte sogar das Tanzabzeichen Goldstar. Heute tanzt sie noch ab und an mit ihrem Mann. „Rhythmus haben wir beide, deshalb möchte ich das bei den Kindern auch ein bisschen in die Richtung lenken.“
Meditation im Gehen
Beim 2004 gegründeten Festival „Wiesbaden tanzt“ zeigen diesmal 57 Tanzschulen, -künstler und Vereine sowie freie Gruppen und Einrichtungen mit Vorführungen, Kursen und Workshops zwei Tage lang Wiesbadens vielseitige Tanzkultur. Zugleich wollen sie damit den Wiesbadenern auch Impulse geben, sich selbst in Bewegung zu setzen. Das Angebot reicht von Ballett bis Zumba, vom Gesellschaftstanz bis zum philippinischen Stockkampf.
An der Blumenwiese neben der Marktkirche treffen sich elf Frauen und ein Mann, um bei einer Gehmeditation durch die Fußgängerzone mitzumachen. Die Gehmeditation sei schließlich auch eine Bewegung, sagt die Yogalehrerin und Tänzerin Christa Zehnder. In der Fußgängerzone gebe es viel Bewegung, aber sie sei hektisch und unkontrolliert. „Die Gehmeditation stellt einen Gegenpol dar, um Ruhe hinein zu bringen.“ Seit 13 Jahren beteiligt sich die Inhaberin des Yoga-Theater-Tanz-Studios mit Aufführungen und Workshops am Festival.
Bevor es losgeht, erläutert Christa Zehnder allen nochmals die Regeln und liest einen kurzen Text zur Einstimmung vor. „Küss die Erde mit deinen Füßen“, zitiert sie den buddhistischen Mönch Thich Nhat Hanh. „Jeder Schritt lässt unter unseren Füßen eine Blume blühen.“ Schweigend und mit einem Lächeln im Gesicht setzen die Teilnehmer langsam und bedacht einen Fuß vor den anderen. Auf dem Weg von der Marktstraße zum Mauritiusplatz fällt die Gruppe auf, zieht auch manch negativen Kommentar auf sich. „Die haben Zeit, das müssen Beamte sein“, sagt etwa eine Frau in aufgebrachtem Ton zu ihrem Begleiter. Dass es sich um eine Gehmeditation handelt, erkennt dagegen eine andere Passantin und erläutert es ihrer Begleiterin.
Wenn Christa Zehnder die kleine Klangschale ertönen lässt, hält die Gruppe für einige Momente inne. 35 Minuten dauert der etwa 200 Meter lange Weg, der Gruppe kam es gar nicht so lang vor. „Das war prima“, sagt Thorsten Vogel am Ende. Er sei beruflich manchmal total gestresst und betreibe schon länger Meditation. „Die Gehmeditation ist ein guter Weg, um das in den Alltag zu integrieren“, findet er. Es müssen nicht immer 20 Minuten sein, sagt er. „Zwei Minuten reichen auch, um wieder klare Gedanken zu bekommen.“ Zur Entspannung kann jeder daheim auch einmal Musik aufdrehen und durch die Wohnung tanzen. Muss ja keiner sehen.