„Die meisten Kinder kommen nicht zum Sterben zu uns“

Der Leiter des Kinderhospizes Bärenherz in Wiesbaden, Michael Knoll, spricht im Interview über die tägliche Arbeit und dankbare Eltern.
Herr Knoll, wie lange gibt es das Kinderhospiz Bärenherz bereits?
Wir haben 2002 eröffnet und sind damit das zweitälteste stationäre Kinderhospiz in Deutschland. Das älteste gibt es seit 1998 in Olpe.
Gibt es noch weitere Kinderhospize in Hessen?
Nein, wir sind das Einzige. In Deutschland gibt es insgesamt 20 stationäre Einrichtungen. Geografisch betrachtet sind wir damit sehr gut aufgestellt. Ich sehe nicht den Bedarf, dass es mehr Kinderhospize braucht. Viel eher bräuchte es mehr Pflegekräfte. Der Mangel ist auch in unserem Bereich zu spüren, viele Häuser können ihre Kapazitäten deswegen nicht voll ausschöpfen.
Wie viele Familien betreuen sie pro Jahr?
Ungefähr 150 unterschiedliche Familien kommen jährlich zu uns ins Haus. Aktuell sind etwa 200 Familien an uns angebunden. All diese Familien bekommen im Herbst eine Mitteilung von uns, wo wir die Bedarfe und Wünsche der Familien für geplante Entlastungsaufenthalte abfragen.
Was bietet Ihr Haus dann den Familien?
Der Großteil unserer Kapazitäten wird für diese Entlastungsaufenthalte genutzt. Dabei kommen die lebensverkürzend erkrankten Kinder für vier bis zehn Tage zu uns. Je nach Wunsch bleibt das Kind dann allein bei uns, weil beispielsweise der Rest der Familie mal einen Urlaub machen möchte, der sonst nicht möglich wäre. Oder die Familien machen den Aufenthalt bei uns gemeinsam.
Und darüber hinaus?
Einen Teil unserer Betten halten wir für Notfallanfragen vor. Diese nutzen etwa Familien, die gerade erst ein Kind mit lebensverkürzender Erkrankung zur Welt gebracht haben oder Familien, die sich in einer Krise befinden und Unterstützung in dieser Situation brauchen. Es gibt auch Familien, die zur Begleitung am Lebensende ihres Kindes zu uns kommen. Das sind etwa zehn Fälle pro Jahr. Die meisten Kinder, die zu uns kommen, kommen nicht zum Sterben zu uns. Kinderhospizarbeit ist viel mehr Lebensbegleiter als Sterbebegleiter.
Wie sieht so ein Aufenthalt im Kinderhospiz aus?
Wir kümmern uns voll umfassend um die pflegerische Versorgung und pädagogische Begleitung des erkrankten Kindes, versorgen es mit allem, was es braucht, und bieten auch Physio- sowie tiergestützte Therapie an. Falls die Familie beim Aufenthalt dabei ist, nutzt sie die Familienapartments, die zur Verfügung stehen. Meist berichten die Eltern, dass sie froh sind, die Dinge abzugeben, die sie aus ihrer Elternrolle rausdrängen, wie eben pflegerische Tätigkeiten. Sie können sich dann aufs Kuscheln, das gemeinsame Spielen oder gemeinsame Aktivitäten konzentrieren. Wir bieten auch Geschwisterbegleitung und Familienbegleitung an.
Wie sind die Rückmeldungen der Familien und speziell der Eltern?
Was viele Eltern zurückmelden, ist, wie schön es doch ist, mal in der Nacht in Ruhe durchschlafen zu können. Mal nicht mit einem oder beiden Ohren am Bett des Kindes sein zu müssen oder nachts Medikamente geben zu müssen. Die Familien nutzen die Zeit nicht, um die tollsten Aktivitäten zu unternehmen, sondern um Kraft zu tanken und zur Ruhe zu kommen. Auch um danach wieder funktionieren zu können. Es ist auch wichtig, bei uns mal Zeit für sich zu haben und etwa mal morgens joggen zu gehen oder einfach in Ruhe ein Buch zu lesen.
Wie werden die Aufenthalte finanziert?
Die eine Hälfte tragen die Kranken- und Pflegekassen. Die andere Hälfte wird über Spendengelder von der Bärenherz Stiftung finanziert. Zum Verständnis: Bei uns entstehen pro Tag und Kind Kosten in Höhe von 1200 Euro, die sich dann in die beiden Finanzierungshälften teilen. Die Stiftung gibt momentan jährlich 1,8 Millionen Euro.
Was steht demnächst für Ihr Hospiz an?
Aktuell wird ein Erweiterungsbau errichtet, den wir im Laufe des Sommers beziehen werden. Damit schließen wir eine große Lücke, die wir immer hatten. Ab dann haben wir eine große Versorgerküche, in der wir dann frisch für die Familien kochen können. Außerdem wird dort ein neues Familienapartment entstehen, das eine direkte Verbindung in das Kinderzimmer haben wird. Das hat es bisher bei uns noch nicht gegeben. Zudem werden wir uns räumlich auf die Bedürfnisse jugendlicher Gäste einstellen. Der Anbau wird durch Spenden finanziert, unser Spendenbedarf ist also durchaus recht hoch.

