Der erste Schritt zur Selbstversorgung an Wiesbadener Schule

Der Bildungscampus Klarenthal beteiligt sich am Projekt „Ackern for future“. Bevor das Gemüse wächst, ist harte Arbeit angesagt.
Hugo und Levin nehmen genau Maß. 32 Zentimeter breit soll der Trampelpfad werden. Die Grundschüler am Campus Klarenthal markieren die Endpunkte mit Stöckchen, die sie mit Schnüren verbinden. Daneben soll ein 80 Zentimeter breites und 1,20 Meter langes Beet entstehen, eines von 140. Der künftige Gemüseacker ist in zahlreiche, getrennte Vierecke aufgeteilt. Aber es wächst noch nichts – außer Wiese.
Kinder, Jugendliche und Lehrer:innen sind Ende März dabei, auf dem Schulgelände nach den Vorgaben der ‚Gemüseackerdemie‘ des Vereins ‚Acker‘ Gemüsebeete anzulegen. Das Ziel des „Ackern for future“ ist, den Wert von Natur und Landwirtschaft zu erlernen. Ausmessen, Stöckchen stecken, Schnüre ziehen – Hugo, neun Jahre, und Levin, sieben, widmen sich weiter konzentriert und geduldig ihrer Tätigkeit, während ein paar Meter weiter etwa gleichaltrige Mädchen vergeblich versuchen, den Boden umzugraben. Das Umgraben gelingt den größeren Schüler:innen und Erwachsenen besser. „Ich habe viel Sport gemacht und bin gut trainiert“, berichtet ein Schüler, der in der Mittelstufe sein dürfte. Er setzt den Fuß auf den Spaten, hebt die Grasnarbe hoch und legt sie auf einen Haufen. Zehn Schülergruppen im Alter bis 16 Jahren und Kinder der Kindertagesstätte, die sich auch auf dem Bildungscampus der evangelischen Inneren Mission befindet, beteiligen sich. Jede Gruppe soll 14 kleine Beete versorgen. Was darauf gesät und gepflanzt werden soll, gibt die Gemüseackerdemie vor. Nach deren ökologischer Pflanzmethode gelingt der Anbau, wenn jede Gruppe 90 Minuten pro Woche ihre Felder bewirtschaftet.
Die Kohlrabi, Karotten, Zucchini und andere Gemüsesorten, die dort einmal wachsen, sollen in der Schulkantine verarbeitet werden. „Das ist der erste Schritt zur Selbstversorgung“, sagt Schulleiter Uwe Brecher. Die von Bilge Caner geführte Küche ist Mitglied im Netzwerk „100 Klimakantinen“ und bietet für die hessische Lehrkräfteakademie Fortbildung zum Thema Ernährungsbildung an. Im Campus Klarenthal trägt die Ernährungsbildung Früchte: Schülerinnen und Schüler haben gerade durchgesetzt, dass nur noch an einem Tag der Woche Fleisch zum Mittagessen angeboten werden darf. Außerdem wird jetzt auf ihren Wunsch Müsli und Porridge zum Frühstück serviert anstatt Käsebrötchen.
Ackercoach Anette Gladis-Schäfer gibt genaue Vorgaben für den Anbau. Der Verein hat anschauliche Mischkultur-Pflanzpläne entwickelt, die sich leicht umsetzen lassen und die die Fruchtfolgen einhalten. „Auf jedes Beet kommen drei Gemüsesorten, etwa Zwiebeln, Möhren und Radieschen“, erklärt Gladis-Schäfer, „oder Kohlrabi, Salat und rote Bete.“ Für jede Woche sind bestimmte Tätigkeiten auf dem Acker vorgesehen. Außerdem schickt der Verein wöchentlich meteorologische und landwirtschaftliche Hinweise zu Schädlingen oder zu einem Unwetter. Gedüngt wird nur mit Kompost, den die Hausmeister auf dem weitläufigen Gelände selbst aus Gras- und Astschnitt herstellen. Nach dem Umgraben füllen Lehrer Benjamin Lehmann und seine Kollegin Johanna Schacht den Mulch auf die Beete. „Im Moment ist das ein Knochenjob“, räumt Schacht ein, „den Kindern verspreche ich, dass es besser wird, wenn es wächst und es erste Ernten gibt.“
Nachhaltigkeit ist an der Schule ein wichtiges Thema, so Schulleiter Brecher. Die Kinder sollen durch den Gemüseanbau die Natur entdecken und wertvolles Wissen sammeln. „Es ist aber auch eine Ergänzung zum Unterricht“, sagt er, „wenn Kinder nach einer Mathestunde eine Auszeit brauchen, schickt man sie mal für 15 Minuten auf den Acker.“