Demonstration in Wiesbaden: Streiken bis die Arbeitgeberseite einlenkt

Hunderte Beschäftigte des Gesundheitswesens kämpfen für bessere Bezahlung und gegen einen Sondertarif zur Zukunftssicherung der Krankenhäuser.
Die Pfeifen, Tröten, Trommeln und Rasseln auf dem Platz vor dem Wiesbadener Hauptbahnhof sind am Mittwochmorgen schon von Weitem zu hören. Hunderte Beschäftigte aus den Krankenhäusern West- und Südhessens sind der Aufforderung der Gewerkschaft Verdi gefolgt, sich am zweiten Tag des Warnstreiks im Gesundheitswesen an der Demonstration in der Landeshauptstadt zu beteiligen, und sie machen mächtig Krach. Die Stimmung ist kämpferisch. Rote Gewerkschaftsfahnen wehen, auf einem Transparent ist zu lesen: „SOS Psychiatrie – Pflege braucht Personal“. Deshalb tragen viele Warnwesten.
Gesundheit ist Gold wert
„Heute ist kein Arbeitstag, heute ist Streiktag“, skandiert die Menge. Gewerkschaftssekretärin Anja Golder ruft ihnen zu: „Gesundheit ist Gold wert“ – „Wir sind es auch“, antworten die Streikenden laut. Zum Zeichen dafür haben sich etliche goldfarbene Thermodecken um die Schultern gewickelt. In den Tarifverhandlungen für die rund 2,5 Millionen Beschäftigten von Bund und Kommunen fordert Verdi 10,5 Prozent mehr Einkommen, mindestens 500 Euro mehr im Monat. Bei der zweiten Verhandlungsrunde hatte es Ende Februar kein Ergebnis gegeben. Das Angebot der Arbeitgeber bedeute einen Realeinkommensverlust und sei „richtig Kacke“, schimpft Golder. Die nächste Verhandlungsrunde steht Ende März an.
„Wir sind immer unterbesetzt“
„Wir sind sehr motiviert“, beschreibt Sebastian Trieb, Physiotherapeut und Betriebsratsvorsitzender der Vitos-Klinik für Neurologie in Weilmünster, der FR die Stimmung. Die Kolleginnen und Kollegen seien überlastet, viele hätten gekündigt. Deshalb wolle er streiken, bis die Arbeitgeberseite die Forderungen erfülle, zur Not auch monatelang. Selcan Koe, medizinische Fachangestellte in der Radiologie der Horst-Schmidt-Klinken (HSK) in Wiesbaden, erzählt, dass sich fast die ganze Station am Streik beteilige. „Wir sind immer unterbesetzt, wir können das nicht mehr leisten“, klagt sie, während sich der Demonstrationszug über die Bahnhofstraße und Wilhelmstraße zum Kranzplatz schiebt.
Patienten ohne Informationen zum Katheder
Eine Pflegerin, die in der Urologie-Ambulanz der HSK beschäftigt ist, trägt ein Schild mit der Aufschrift: „Keine Pause zum Essen, zum Trinken, zum Pipi machen“. „Wir haben keine Zeit für die Patienten“, berichtet sie, „die verlassen das Krankenhaus und haben keine Ahnung, wie sie den Katheder behandeln und den Beutel leeren müssen.“ 14 Mitarbeiter:innen hätten früher auf der Station gearbeitet, heute seien es sieben. Die Auszubildenden der Vitos-Klinik Rheingau sind zu sehen, Beschäftigte aus Kliniken in Limburg, Weilburg, Darmstadt, Heppenheim, Rüsselsheim und anderen Städten sind auch dabei. Nach Verdi-Angaben beteiligen sich 400 bis 500 Beschäftigte.
Krankenkassen und Land sollen mehr zahlen
Nicht nur das aus Gewerkschaftssicht unzureichende Arbeitgeberangebot von fünf Prozent Lohnerhöhung in zwei Schritten ärgert die Verdi-Funktionäre. Die Arbeitgeberseite verlangt auch für Krankenhäuser, Entsorgungsbetriebe und Sparkassen einen Tarifvertrag Zukunftssicherung, der es ihnen in finanziellen Schwierigkeiten erlaubt, einen Teil der Gehaltssteigerung einzubehalten. In der Altenpflege wären das fünf und in der Krankenpflege sechs Prozent, so Golder. „Das kommt nicht infrage“, sagt Verdi-Sekretär Armin Löw, „wir brauchen eine Aufwertung“. Krankenhaus-Insolvenzen könnten mit Gehaltseinbußen ohnehin nicht aufgehalten werden. Es brauche bessere Refinanzierungsstrukturen, die Krankenkassen und das Land müssten mehr investieren, erläutert Löw. Die Streikbereitschaft sei so gut, dass ein langer Erzwingungsstreik durchaus denkbar sei. „Wir treten ein für ähnliche Gehälter wie Facharbeiter in der Industrie“, spricht Löw durchs Megaphon.
Am Sozialministerium keine Reaktion
Als der Demonstrationszug am hessischen Sozialministerium in der Sonnenberger Straße, das auch für Gesundheit zuständig ist, vorüberzieht, versuchen die Streikenden besonders laut zu rufen. „Wir sind keine Lohnsparschweine“, erklingt es im Chor, wieder ertönen Tröten und Trillerpfeifen. An den Fenstern des Ministeriums regt sich nichts, nur hie und da zeigt sich hinter dunklen Fensterscheiben ein Kopf. Aber niemand öffnet ein Fenster.