Busstreik in Wiesbaden: Wie ein Sonntag in der Stadt

Menschen meiden wegen des fehlenden ÖPNV-Angebots und der Klima-Demo die City. Manche sind E-Scootern unterwegs. Für Gewerkschaft und Fridays for Future ist der Tag ein Erfolg.
Die Wiesbadener Innenstadt wirkt am Freitagmorgen als wäre Sonntag. Die Gewerkschaft Verdi hat die Beschäftigten des kommunalen Verkehrsträgers Eswe zum Streik aufgerufen. Die Busse bleiben im Depot. Zudem ist für den Mittag eine Demonstration von Fridays for Future (FFF) angekündigt, an dem sich Verdi beteiligen möchte. Eigentlich wären noch mehr Staus als an gewöhnlichen Werktagen in der Stadt zu erwarten gewesen. Aber nein, es sind weniger Autos und Menschen unterwegs. An normalen Freitagen herrscht geschäftiges Treiben in der Landeshauptstadt. Jetzt fühlt sich das Großstadtleben an, als würden alle schlafen.
Für Taxis kein gutes Geschäft
„Ich bin extra früher losgefahren, um Fahrgäste zu bekommen, aber die Leute bleiben zu Hause“, klagt ein Taxifahrer am Dern’schen Gelände, der auf ein gutes Geschäft gehofft hatte. Offenbar legen die Menschen einen Homeoffice-Tag ein und verschieben ihre Erledigungen. Die Bushaltestellen sind verwaist. Auf den Bänken haben es sich Wohnsitzlose bequem gemacht, wegen der Kälte in Decken gehüllt.
Auf den Streik vorbereitet
Wer unbedingt an einen anderen Ort muss oder will, hat sich auf den Busstreik vorbereitet. Emma Hildebrandt lässt sich mit dem Taxi vom Wiesbadener Stadtteil Rambach zum Hauptbahnhof bringen. Sie wollte eigentlich den Bus nehmen - obwohl sie Gepäck und sogar Ski mit sich führt. Die 20-Jährige fährt mit der Bahn in den Wintersport. Ein älterer Herr, der nach Nordenstadt möchte, hat das Taxi von Biebrich zum Hauptbahnhof genommen. Weil von dort aus eine Linie der Nassauischen Verkehrsgesellschaft, die nicht bestreikt wird, nach Nordenstadt weiterfährt, steigt er in den Bus um. „Die Taxifahrt hätte mich sonst 40 Euro gekostet“, sagt er, „so musste ich nur 16 zahlen.“
Mit dem Scooter in die Schule
Auch Lisa und Faith, 20 und 19 Jahre alt, planen um. Normalerweise nehmen die jungen Frauen den Bus ins Berufsschulzentrum. Jetzt versuchen sie einen der E-Scooter am Hauptbahnhof zum Laufen zu kriegen. Die Landeshauptstadt hatte die Anbieter gebeten, mehr Roller an Bahnhöfen und anderen Umsteigepunkten aufzustellen. Die Stadt möchte den Fahrgästen damit eine Alternative anbieten, sich fortzubewegen.
Für die Dreharbeiten „Der Staatsanwalt“ gut
Für die Dreharbeiten der Krimiserie „Der Staatsanwalt“ mit Rainer Hunold hat der Busstreik auch sein Gutes. Die Versorgungswagen, in denen sich die Crew aufwärmen und mit Essen und Getränken versorgen kann, stehen in der Bahnhofstraße zwischen Bürgersteig und Busspur. „Ohne die Busse ist es ruhiger, sonst wehen die Zelte im Fahrtwind“, erzählt Michael Neubert, Assistent der Set-Aufnahmeleitung. Außerdem müssten Schauspieler:innen und Kameraleute für die Außenaufnahmen nicht ständig warten, bis die Busse vorbeigefahren seien. Allerdings seien auch einige Komparsen wegen des Streiks nicht pünktlich am Set gewesen.
Fridays möchten weiter mit Verdi zusammenarbeiten
Am Eswe-Betriebshof in der Gartenfeldstraße, wo die Ein- und Ausfahrt wie beim Warnstreiktag vor zwei Wochen mit Bussen versperrt ist, wärmen sich einige der Busfahrer an einem Feuer auf. Verdi versorgt sie mit Frikadellenbrötchen und Kaffee. „Die Stimmung ist super“, sagt Betriebsratsmitglied Bernd Meffert, „60 Prozent der Beschäftigten beteiligen sich am Ausstand, obwohl der Organisationsgrad nur bei 45 Prozent liegt.“ Die meisten Fahrgäste hätten Verständnis für ihr Anliegen. Die Vorurteile eines Teils der Belegschaft den Leuten von Fridays for Future gegenüber müssten noch ausgeräumt werden, sagt Meffert. Verdi und FFF halten gemeinsam eine Kundgebung am Dern’schen Gelände. „Die Verbindung von Klimaschutz und Verkehrswende geht nicht ohne den öffentlichen Personennahverkehr“, fasst Meffert die Quintessenz seiner Rede zusammen. „Das war ein guter Startschuss“, berichtet FFF-Sprecher Leon Thurn über die Zusammenarbeit mit Verdi, die Kooperation solle fortgesetzt werden. Nach seinen Angaben haben sich tausend Menschen an der Demonstration vom Hauptbahnhof zum Marktplatz und zurück beteiligt. Der Streik bei Eswe Verkehr ist bis zum Betriebsende am frühen Samstagmorgen angekündigt. Wiesbaden steht eine ruhige Nacht bevor.

