Störche dürfen bleiben
Altenstadt - Seit Anfang April hat ein Storchenpaar um den Standort für sein neues Nest auf einem Strommast am Rande der Nidderaue, unmittelbar vor den ersten Häusern des Ortsteils Höchst gekämpft. Dabei hatten sie nicht Wettereinflüsse oder Konkurrenten der eigenen Art als „Gegner“, sondern die Eigentümerin des Masts, den Energieversorger Ovag. Dort machte man sich nämlich Gedanken um das Wohl der Tiere.
Nachdem das Unternehmen vom Nestbau an der heiklen Stelle erfuhr, kamen Baufahrzeuge und beseitigten die ersten Ansätze des Nests umgehend. Die Störche ließen sich aber nicht beirren und begannen erneut mit dem Bau. Es startete ein Katz-und-Maus-Spiel, wie Anwohnerin Gisela Schilling schildert: „Es war schrecklich mitanzusehen, wie die Tiere sich dabei verausgabten.“ Schilling wohnt in der Nähe und verfolgte die verzweifelten Versuche der Störche von Anfang an.
Der Strommast steht direkt an der Nidderaue, ein idealer Lebensraum für Störche. Deshalb sind Masten oder hohe Bauten geradezu perfekt für den Bau von Nestern und die Aufzucht des Nachwuchses. Das war sicherlich auch der Grund, warum die beiden Störche nicht nachgaben und nach jedem Abriss ihres Nestbaus wieder von vorne begannen. Dabei verwendeten sie aber nicht etwa das bisherige Material, das die Ovag-Mitarbeiter direkt neben dem Mast auf einer Wiese liegen ließen, sondern suchten jedes Mal neue Äste, aus denen sie kunstvoll ihr Nest flochten.
Gisela Schilling verfolgte den Kampf zwischen Ovag-Mitarbeitern und Störchen in all den Tagen nicht tatenlos, sondern redete erst auf die Ovag-Leute ein, wandte sich dann an die Gemeinde und schließlich an den Naturschutzbund NABU. Doch alles war vergebens. Währenddessen ging der Kampf weiter: Die Störche bauten auf, die Ovag riss ab. „Warum schrauben die Ovag-Mitarbeiter nicht einfach eine Holzscheibe auf den Mast und lassen die Tiere in Ruhe?“, fragte Schilling, sichtlich um eine einvernehmliche Lösung bemüht.
Doch auch aufseiten der Ovag machte man sich Gedanken um das Wohl der Tiere. „Bauversuche von Störchen an solchen Stellen unterbinden wir, weil die Tiere dort in absoluter Lebensgefahr schweben“, klärt Pressesprecher Jan Michel Kaufmann auf. Als regionaler Netzbetreiber liegen Natur- und Vogelschutz dem Unternehmen grundsätzlich sehr am Herzen. Im Zuge der stetig wachsenden Storchenpopulation stieg aber auch für die Ovag Netz GmbH die Herausforderung im Umgang mit den Tieren im Bereich ihrer Mittelspannungsanlagen, wie in diesem Fall. Versorgungssicherheit und Verkehrssicherungspflicht hätten hier stets Vorrang, betont Kaufmann.
Gemeint ist damit die Gefahr, dass Gelege oder gar Jungstörche verenden, wenn es etwa durch Nestteile zu Kurzschlüssen kommt, die zum Brand des Nests führen können. Das kommt gelegentlich vor, wenn sich Störche dazu entschließen, auf diesen Masten zu nisten.
Im Ortsteil Lindheim, auf der anderen Seite der Nidderaue im Bereich Altenstadt, ist das Unternehmen deshalb gerade dabei, seine Freileitung komplett im Bereich der dortigen Feuchtwiesen abzubauen und durch Verkabelung zu ersetzen. Darüber hinaus sei die Ovag bei entsprechenden Anfragen von Naturschutzgruppen bereit, zum Zwecke des Vogelschutzes alte Masten als Nistplätze stehen zu lassen.
Auch würde das Energieunternehmen mit seinem Maschinen- und Fuhrpark unterstützend bei vielen Maststellmaßnahmen der Unteren Naturschutzbehörde oder von NABU-Ortsgruppen mitwirken.
Das Hin und Her in Höchst hatte schließlich ein Ende. Als dort zu früher Stunde wieder drei Fahrzeuge der Ovag anrückten, um zum sechsten Mal das Nest zu beseitigen, war es zu spät. Darin lag nämlich das erste Storchenei - und damit war es tabu. Übrigens sehr zur Freude der Anwohner, wie Gisela Schilling mitteilt. Diese hätten sich nämlich bereits an das Klappern der Störche gewöhnt. jwn