Kein Geld mehr zum Einkaufen

Seit einem Jahr leben Dalibor Gažo und seine pflegebedürftige Mutter Milka Furch von ihrer Rente. Das Jobcenter, erzählt der Rosbacher, hat ihm die Hartz-IV-Zahlung gestrichen. Der Grund dafür sei ein Missverständnis. Dass Gažo und seine Mutter eine Weile nichts zu Essen gehabt hätten, habe beim Amt niemanden interessiert.
An manchen Tagen hatten sie kein Geld für Essen. Im Dezember war das, erzählt Dalibor Gažo. „Meine Mama und ich konnten uns nichts kaufen.“ Das Konto der Mutter sei gesperrt worden - wegen unbedienter Kreditraten. Und seines sei ohnehin leer, da das Jobcenter vor einem Jahr die Zahlung von Hartz IV eingestellt habe. Der Grund, wie der Rosbacher sagt: „Das Jobcenter Wetterau wirft uns vor, meine Mutter würde mir Gehalt zahlen.“ Das sei nicht wahr, sagt er. „Wo soll das Geld sein?“
Er deutet um sich. Was hier steht, sagt er, ist alles, was er und seine Mutter Milka Furch haben. Rund 60 Quadratmeter teilen sich die beiden. Städtische Wohnung, drei kleine Zimmer, Küche, Bad.
Wie er erzählt, hatte die Mutter 2003 einen Schlaganfall. Sie sitzt im Rollstuhl, er pflegt sie. Während er von der Situation berichtet, sitzt die Mutter neben ihm, hört zu. Zwischendurch rollt sie ins Bad zur Toilette. Wenig später ruft sie ihren Sohn. Er kommt, hilft ihr in den Rollstuhl, schiebt sie wieder ins Wohnzimmer. Sie deutet zum Tisch auf einen Becher. Er reicht ihn ihr, hilft beim Trinken.
Die beiden wohnen seit einigen Jahren zusammen, erzählt er - in der Wohnung, in der die Mutter seit über 30 Jahren lebe, damals sei sie mit ihrem Mann eingezogen, der inzwischen verstorben sei.
Damals, sagt Gažo, als die Mutter den Schlaganfall hatte, arbeitete er in einem Frankfurter Unternehmen. „Ich habe versucht, Arbeit und Pflege unter einen Hut zu bringen.“ Später habe die Firma finanzielle Probleme bekommen „und versucht, Leute loszuwerden. Ich habe zugesagt, die Abfindung anzunehmen“. Doch darauf warte er bis heute. Die Firma führe noch immer ein Insolvenzverfahren.
Ab 2010 habe er Hartz IV bekommen. „Weil ich als unvermittelbar gelte“ - wegen der Pflege der Mutter und der damit einhergehenden zeitlichen Einschränkungen. 2019 sei er bei einem vom Jobcenter organisierten sog. Speed-Dating mit Zeitarbeitsfirmen gewesen - erfolglos. Seine Vermutung: Zu groß seien zeitliche und örtliche Einschränkungen gewesen, die er wegen der Pflege angegeben habe.
Wegen einer Krankheit habe das Jobcenter ihm geraten, einen Antrag auf Erwerbsunfähigkeitsrente zu stellen, doch die untersuchenden Ärzte hätten abgelehnt. Stattdessen sei er seit September 2019 durchgehend krankgeschrieben.
BÜRGERGELD
Seit Januar gibt es statt Hartz IV Bürgergeld. Für alleinstehende und alleinerziehende Leistungsberechtigte gibt es 502 Euro im Monat. Das Konzept der Bedarfsgemeinschaft besteht weiterhin. Allgemein, heißt es vonseiten des Jobcenters zum Thema Pflege und Anrechnung: Sobald der Pflegende in einer Bedarfsgemeinschaft mit der zu pflegenden Person ist, werde das Einkommen (zum Beispiel Rente) auf das Bürgergeld angerechnet. dpa/sda
Dann, im Februar 2022, habe das Jobcenter die Leistung gestrichen. „Seither gab es keinen Monat, in dem wir uns kein Geld geliehen haben.“
Wie viel Geld die beiden zur Verfügung haben? Dalibor Gažo holt einen Ordner, blättert, liest vor: „die Altersrente der Mutter (rund 530 Euro) und die Witwenrente (rd. 830 Euro)“, zudem gebe es Pflegegeld (545 Euro). Von der Rente gingen 600 Euro Warmmiete ab und alle anderen Kosten (Strom, Internet…).
Wieso das Jobcenter Hartz IV gestrichen habe? Das Problem sei ein bürokratisches Missverständnis, sagt er: Weil er beispielsweise Supermarkt-Einkäufe mit seiner EC-Karte bezahlt habe. Als sein Konto leer gewesen sei, habe er sich von dem Konto der Mutter Geld überwiesen. Oder wenn er etwas für sie bestellt habe, Kleidung beispielsweise: „Mache ich mit meinem Konto, dann überweise ich mir das Geld.“ Dadurch, sagt er, werde ihm nun unterstellt, dass die Mutter ihm Gehalt zahle, und das zähle als Einkommen. Aber, sagt er: „Wo soll das Geld sein? Und wie dumm müsste ich sein, mir etwas in die eigene Tasche zu stecken?“ Er habe alle Unterlagen inklusive Kontoauszüge ans Jobcenter geschickt. Darauf sei zu sehen, dass es weder von der einen noch von der anderen EC-Karte auffällige Ausgaben gebe. „Jeder kann herkommen und selbst sehen, dass ich keine Rolex trage und der Rollstuhl meiner Mutter keine Sportfelgen hat.“
Mittlerweile stehe zumindest wieder das Konto der Mutter zur Verfügung. Dennoch: Beim Jobcenter habe Gažo vergeblich versucht, mit einem Verantwortlichen Kontakt aufzunehmen. Beim Sozialamt habe man ihm gesagt, man sei nicht zuständig, da er erwerbsfähig sei. Inzwischen habe er eine Klage formuliert. Das Verfahren laufe.
Beim Jobcenter äußert man sich nicht zu dem Fall. Vonseiten der Pressestelle heißt es: „Eine Stellungnahme hierzu kann leider nicht erfolgen, da ein offenes Klageverfahren beim Sozialgericht anhängig ist.“
Gažo sagt, er weiß nicht weiter. Auskünfte bekomme er keine, werde von A nach B geschickt. Als das Konto der Mutter im Dezember gesperrt worden sei - „weil wir die Kredite bzw. die Raten nicht bedienen konnten“ - habe er in der Rosbacher Bankfiliale gestanden, wo ihm keiner weitergeholfen habe. Das Einzige, was er zu hören bekommen habe: Er solle nach Friedberg fahren, zum Jobcenter. „Aber wie? Hätte ich schwarzfahren sollen?“
Es sei ein Teufelskreis. „Wir liegen auch im Mietrückstand“, gleiche Situation bei der Ovag. Zur Schuldnerberatung habe Gažo bereits Kontakt aufgenommen. Um eine Privatinsolvenz, sagt er, wird er wohl nicht herumkommen.