„Die größte Liebe ist das Wandern“
Ohne Unterhose, ohne Kamm - lediglich fünf Kilo Gepäck. Mehr braucht Christine Thürmer nicht, wenn sie die Welt durchwandert. 60 000 Kilometer in 40 Ländern hat sie zu Fuß zurückgelegt - trotz Plattfüßen, X-Beinen und Übergewicht. Wo sie am liebsten wandert, was am schwersten ist und was für sie absoluter Luxus ist, erzählt sie im Interview und im März in ihrer „Trail-Show“ in Rosbach.
Sie sagen von sich selber, Sie waren früher eine „Niete“ im Sport. Jetzt sind Sie die „meistgewanderte Frau der Welt“. Kann das also jeder?
Wandern ist wohl die demokratischste aller Outdoor-Sportarten: Denn Wandern kann jeder, der einen Fuß vor den anderen setzen kann. Man braucht dazu weder besonders teures Equipment noch besondere Fähigkeiten oder Fitness.
Nach einer Berufspause haben Sie mit dem Wandern angefangen. Gab es einen Moment, in dem Sie sagten: „So, jetzt muss ich raus“?
Ich bin keine Aussteigerin, sondern eine Umsteigerin. Mir hat mein Job immer sehr viel Spaß gemacht. Doch die wichtigste Ressource im Leben ist nicht Geld, sondern Zeit - und meine Lebenszeit wollte ich möglichst vielseitig nutzen. Als ich wusste, wie Karriere machen geht, habe ich umgesattelt auf Wandern - nicht aus Frust, sondern aus Lust auf was Neues.
Wo sind Sie zuerst gewandert?
Meine erste Langstreckenwanderung führte mich gleich auf 4277 Kilometern von Mexiko nach Kanada auf dem Pacific Crest Trail.
Waren Sie gleich richtig vorbereitet?
Ich hatte ja vor meiner Wanderlaufbahn schon eine Karriere als Managerin in der Unternehmenssanierung gemacht und war dadurch beruflich bedingt schon immer sehr gut in Planung. Daher war ich bereits auf der ersten Tour ausgezeichnet vorbereitet, selbst an meiner Ausrüstung von damals hat sich seither nichts Grundlegendes geändert.
Erschöpfung, Blasen an den Füßen, das passende Equipment. Wie sind Sie zunächst vorgegangen?
Ich bin von Anfang an ultraleicht unterwegs, und habe daher so gut wie nie irgendwelche Blasen und bin auch nicht sonderlich erschöpft.
Was hat Ihr Umfeld gesagt, als Sie Ihren Job an den Nagel gehängt haben und ausschließlich „on Tour“ waren?
Ich habe einige Freunde verloren, weil ich nicht mehr ständig für Kinobesuche oder Kaffee trinken zur Verfügung stand. Aber die meisten haben sich schnell an mein Nomadenleben gewöhnt, das für sie ja auch Vorteile hat: Bei Liebeskummer oder Jobproblemen kann man mich jederzeit von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang anrufen und ich habe dann während des Wanderns nicht nur Zeit, sondern auch die Energie zur seelisch-moralischen Unterstützung.
Zu Fuß, mit dem Rad oder dem Boot. Was ist Ihnen lieber?
Meine erste und größte Liebe ist das Wandern. Auch wenn dabei der Radius eher gering ist, bin ich zu Fuß am flexibelsten. Während ich mit meinem kleinen Rucksack für die An- und Abreise jedes Verkehrsmittel nutzen kann, ist Fliegen oder sogar Bahn fahren schon mit dem Rad ein Problem. Und mit einem fünf Meter langen Kajak braucht man das erst gar nicht versuchen.
Weltweit sind Sie unterwegs. Wo am liebsten?
Jedes Land hat seine schönen Seiten. Manchmal dauert es nur ein bisschen länger, bis man die entdeckt. Ich persönlich bin am liebsten in Osteuropa unterwegs: Diese Region ist als Outdoor-Destination immer noch völlig unterschätzt, obwohl es dort sowohl in der Natur als auch kulturell unglaublich viel zu entdecken gibt - bei einem Preisniveau, das mir an meinen Ruhetagen ziemlich viel Luxus erlaubt.
Was sind oder waren die größten Hürden?
SHOW IN ROSBACH
Sie ist Klapperschlangen und Bären begegnet, hat sich durch Vulkanwüsten und Sümpfe gekämpft und ist sogar schon in Waldbrände und Militärübungen hineingeraten. Was macht man, wenn ein Alligator den Weg versperrt oder eine Brandbombe vom Himmel fällt? Wo warten die hungrigsten Insekten? Und wo das leckerste Essen?
Christine Thürmer, 1967 in Forchheim geboren, ist die meistgewanderte Frau der Welt und kennt die Antworten und erzählt in ihrer Trail-Show am Mittwoch, 29. März, um 19.30 Uhr in der Adolf-Reichwein-Halle in Rosbach von Wildnis-Abenteuern, von Pilgerwegen und auch einem Wanderweg für Blinde.
Die Bestsellerautorin plaudert von ihrer Outdoorlaufbahn und gibt praktische, aber auch ungewöhnliche Tipps. Karten gibt es unter kultur@rosbach- hessen.de oder an der Abendkasse. koe
Ich lebe unterwegs ja quasi im Dreck! Ich schlafe auf dem Boden, esse auf dem Boden, koche auf dem Boden - und irgendwann ist man vom vielen Dreck regelrecht paniert. Doch ich habe nicht immer die Möglichkeit, mich zu waschen. Entsprechend müffelt man selbst und die Ausrüstung. Das auf Dauer auszuhalten, ist aber das schwierigste Problem.
Wie erleben Sie die Menschen, denen Sie begegnen, bzw. wie reagiert man auf Sie?
Die meistgestellte Frage unterwegs lautete: „Hast du denn keine Angst so als Frau alleine?“ Solo-Frauen lösen immer noch etwas Erstaunen, aber in der Regel auch viel Hilfsbereitschaft aus.
Bei so vielen Kilometern ist Minimalismus ein Thema. Was benötigen Sie unbedingt im Rucksack, auf was können Sie verzichten?
Meine gesamte Ausrüstung wiegt inklusive Rucksack nur fünf Kilogramm. Alles dient vier Zwecken: Wärme, Wetterschutz, Proviant und Wasser. Beim Packen ist nur eine Frage wichtig: Gibt es ohne diesen Gegenstand unterwegs ein lebensbedrohliches Problem? Wenn die Antwort „Nein“ lautet, dann kann er zu Hause bleiben. Und nein, es gibt kein lebensbedrohliches Problem, wenn man ohne Kamm oder Unterhose wandert.
Welchen Effekt hat das Wandern auf Ihren Gemütszustand?
Weitwandern senkt die Glücksschwelle! Wenn man sich unterwegs auf das Minimum beschränkt, werden plötzlich Dinge, die man vorher für ganz normal gehalten hat, zum totalen Luxus und lösen einen wahren Glücksrausch aus.
Was wäre das zum Beispiel?
Im normalen Leben würde niemand von einem einfachen Schokoriegel schwärmen, unterwegs auf Tour hingegen kann er zu einem unerwarteten Glücks-Flash führen.
Sind Sie immer alleine unterwegs?
Ich wandere immer alleine, denn diese langen Distanzen schafft man nur, wenn man konsequent in seinem eigenen Tempo und Stil geht. Ständig auf jemand lang- sameren warten zu müssen, führt zu Frust, und hinter jemand schnellerem herzuhecheln, resultiert oft in Überlastungserscheinungen und Tourabbruch.
Schreiben Sie Ihre Bücher immer direkt nach der Rückkehr?
Während meiner Wanderungen poste ich täglich auf den sozialen Medien, was so eine Art öffentliches Tagebuch ist und hinterher eine gute Erinnerungsstütze für meine Bücher. Wenn ich eine Tour beginne, weiß ich allerdings nie, ob ich anschließend auch was darüber schreibe. Ich wandere nicht, um darüber zu schreiben, sondern weil es mir Spaß macht. Das Schreiben ist nur ein Nebeneffekt.
Was können Besucher Ihrer Show und Vorträge von Ihnen „lernen“?
Warum das Weitwandern so glücklich macht - und wie man das am besten anstellt.
Welche Gegend möchte Sie noch in Zukunft denn gerne durchwandern?
Dieses Jahr möchte ich nach Japan und Südkorea.
Interview: Sabine Bornemann
