1. Startseite
  2. Rhein-Main
  3. Wetterau
  4. Friedberg

Ein Wimpernschlag genügt

Erstellt:

Von: Corina Silvia Socaciu

Kommentare

nic_motion2_040323_1_4c_1
Robert Wechsler (2. v. l.) überreicht das Gerät an Schulleiterin Verena Trebels, Stellvertreter Stephan Lux (l.) und Lehrer Thomas Loscher (r.). Merz (2) © Nicole Merz

Etwa 180 sehbehinderte Kinder und Jugendliche gehen auf die Johann-Peter-Schäfer-Schule in Friedberg. Der „Motion Composer“ verwandelt Bewegung in Musik und soll den Schülern helfen, körperliche Barrieren auf dem Weg zur eigenen Musikalität abzubauen.

Wie viele geniale Ideen zuvor, ist auch der Gedanke zum „Motion Composer“ in der Badewanne entstanden. Nach seinem Geistesblitz vor knapp zwölf Jahren hat sich Robert Wechsler mit Ingenieuren und Künstlern zusammengesetzt und das Gerät entwickelt. Der „Motion Composer“ ermittelt über Sensoren Bewegungen im Raum und kann diese in Töne und Musik umsetzen. Die Technik soll besonders Menschen mit Behinderungen zugutekommen und ihnen zu kreativem Ausdruck verhelfen.

Stephan Lux ist stellvertretender Schulleiter an der Johann-Peter-Schäfer-Schule in Friedberg. Er freut sich für die Schülerinnen und Schüler. Denn: „Die sind total begeistert von Musik. Das ist ihre Welt.“

Die Johann-Peter-Schäfer-Schule hat sich auf Kinder und Jugendliche mit Sehbehinderung spezialisiert. Manche von ihnen sind zudem weiter körperlich oder geistig eingeschränkt.

Nun nehmen 16 Lehrerinnen und Lehrer an der Fortbildung zum Umgang mit dem „Motion Composer“ teil. Einige berichten, dass sie gerne Musik in den Unterricht einbauen, beispielsweise beim Lernen des Einmaleins oder bei Eselsbrücken. Viele von ihnen spielen zudem selbst ein Instrument, mehr als die Hälfte kann Noten lesen. Stephan Lux sagt, als es im Stuhlkreis reihum geht: „Ich liebe Musik und Tanz.“ Eine andere Lehrerin gesteht: „Ich bewege mich und singe gerne... aber schön ist es halt nicht.“

MUSIKALITÄT ERLEBEN

Robert Wechsler ist Choreograf, Noten lesen kann er nicht. Trotzdem oder gerade deshalb entwirft er 2011 zusammen mit Ingenieuren und Künstlern den „Motion Composer“, ein Gerät, das Bewegung in Musik übersetzt. Vor allem körperlich beeinträchtigte Menschen sollen durch das Gerät wieder Freude an Musik und Bewegung verspüren und ein „Das habe ich gemacht?!“-Gefühl erleben.

Der „Motion Composer“ basiert auf einer 3D-Technologie, mit der kleinste Bewegungen im Raum wahrgenommen werden können. Im Programm kann zwischen verschiedenen Instrumenten, Elektromusik sowie Natur- und Tiergeräuschen ausgewählt werden.

Schulleiterin Verena Trebels und ihr Stellvertreter Stephan Lux bedankten sich bei der Herman-van-Veen-Stiftung für die finanzielle Unterstützung und bei der Lebenshilfe Wetterau für die gemeinsame Erprobung des Projekts. cos

Auf Barfußschuhen schreitet Robert Wechsler anschließend durch den großen Raum und demonstriert die Technik. Der gelernte Tänzer scheut nicht davor zurück, auch die Tiergeräusche durch typische Bewegungen von Ente, Vogel und Co. zu untermalen. 20 verschiedene Tiergeräusche kann der „Motion Composer“ abrufen, dazu eine Vielzahl an Instrumenten und elektrischen Klängen. Über die Tonhöhe und -länge entscheidet die jeweilige Körperbewegung vor dem Gerät.

Zum „Motion Composer“ gehören ein kastenförmiges Gerät, ein Tablet und zwei Musikboxen. Einmal von links nach rechts geschritten, ähnelt der Klang einer schnellen Handbewegung über die Tasten eines Klaviers. Je nach Einstellung hört sich die Musik tonal oder melodisch an.

Menschen mit Trisomie 21 können sich besonders leicht in der Bewegung und in der Musik fallen lassen, sagt Robert Wechsler. Hingegen versuchten Personen im Autismus-Spektrum, eher die Musik durch ihre Bewegungen zu steuern. Wir alle würden mal mehr mal weniger intuitiv oder kontrolliert handeln, sagt der Choreograf. Wichtig sei es, beweglich zu bleiben. Kindern bräuchte man beispielsweise das Tanzen nicht beizubringen, sie hätten Rhythmus bereits im Blut. Robert Wechsler: „Wir sind alle Tänzer; und wir sind alle Musiker.“ Tatsächlich seien Musik und Tanz tiefer im Gehirn verankert als die Bereiche für Wort und Schrift. Deshalb: „Ohne Musik und Tanz gäbe es kein abstraktes Denken und keine Kreativität.“

Nun ist das Publikum an der Reihe. Zur Flöte schwingt sich eine Lehrerin vor dem „Motion Composer“ auf und ab - eine harmonische Melodie ertönt, die anderen sind begeistert. Auch Saxofon und Harfe kommen gut an. Lehrer Thomas Loscher freut sich bereits darauf, das Gerät in den kommenden Tagen in seinen Schulklassen auszuprobieren. Auch für Schulfeste und Musicals sei der „Motion Composer“ eine schöne Ergänzung.

Dann erhöht Robert Wechsler den Schwierigkeitsgrad: „Ich werde alle Gesten ausschalten - außer Hüpfen.“ Jemand raunt: „Jetzt muss gehüpft werden.“ Aber auch das klappt. Nach einer kleinen Vorführung gehen die meisten mit einem Lächeln im Gesicht zurück in die Gruppe. Dabei müssen es nicht immer die großen Gesten sein, wie Wechsler demonstriert, manchmal reicht ein Wimpernschlag.

nic_motion2_040323_4c_2
„Wir sind alle Tänzer; und wir sind alle Musiker“, sagt Erfinder Robert Wechsler. © Nicole Merz

Auch interessant

Kommentare