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„Die Lebensrealität ist eine andere“

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Die Gebärde, die Schauspielerin Annalisa Weyel hier zeigt, bedeutet „Ich liebe dich“, sie wird auch als Solidaritätszeichen in der Gemeinschaft hörender Kinder gehörloser Eltern verwendet. dpa © dpa

Die Butzbacher Schauspielerin Annalisa Weyel ist mit gehörlosen Eltern aufgewachsen. Dennoch fiel es ihr schwer, in der TV-Reihe „Der Wien-Krimi: Blind ermittelt“ eine gehörlose Frau zu spielen. „Auch, wenn ich fast ausschließlich mit gehörlosen Menschen und Codas aufgewachsen bin, ist meine Lebensrealität eine andere als beispielsweise die meiner Eltern“, sagt sie in einem ARD-Interview zur Episode „Tod an der Donau“, die am morgigen Donnerstag um 20.

15 Uhr im Ersten zu sehen ist. Codas ist ein Begriff für Kinder von Gehörlosen, die zumeist selbst hörend sind (Coda ist die Abkürzung vom Englischen „Children of deaf adults“). „Deshalb finde ich es sehr wichtig, dass gehörlose Rollen auch von gehörlosen Schauspielerinnen und Schauspielern übernommen werden“, sagt die 22-Jährige.

„Leider führen viele strukturelle Probleme dazu, dass dies oft nicht der Fall ist“, sagt Weyel. „Trotzdem wünsche ich mir sehr, dass Lebensrealitäten von Codas, gehörlosen Menschen, schwerhörigen Menschen sowie von Personen, die spät ertaubt sind, in ihrer ganzen Diversität immer sichtbarer werden - so authentisch wie möglich.“

Gebärdensprache ist Annalisa Weyels Muttersprache. Die Wörter „Mama“ und „Papa“ konnte sie in Gebärdensprache ausdrücken, bevor sie sie sagen konnte. Erst mit zwei, drei Jahren hat Annalisa Weyel gelernt zu sprechen - durch Früherziehung und durch Oma und Opa.

Sie ist mitten in der Gehörlosenkultur und umgeben von vielen gehörlosen Menschen und anderen Codas aufgewachsen, erzählt Weyel. „Das hat mich natürlich total geprägt. Die deutsche Gebärdensprache habe ich vor der Lautsprache gelernt, weshalb ich oft das Gefühl habe, dass sie mir viel näher ist und ich einen natürlicheren Zugang zu ihr habe als zu der Lautsprache. Ich verbinde mit der Gebärdensprache natürlich auch ganz andere Gefühle und habe eine sehr emotionale Bindung zu ihr.“

TV UND THEATER

Annalisa Weyel ist in Butzbach aufgewachsen. Bereits als Jugendliche hat sie ihre erste Fernsehrolle gehabt: Bei der Jugendserie des Kinderkanals „Schloss Einstein“ spielte sie von 2013 bis 2015 die Internatsschülerin Alva Rehbein.

Inzwischen studiert sie Schauspiel in Stuttgart an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst. Sie ist schon in TV-Rollen geschlüpft, zum Beispiel in einem Teil des „Masuren-Krimis“, der im Ersten lief. Zudem tritt sie als Theaterschauspielerin auf, etwa in dem Stück „Unter uns. Unsichtbar?“ als Teil des Projekts Junges Schauspiel im Frankfurter Schauspiel.

Am morgigen Donnerstag ist sie in einer Folge der TV-Reihe „Der Wien-Krimi: Blind ermittelt“ zu sehen (20.15 Uhr, Das Erste). sda

Dass sie diese Sprache für die Rolle nutzen durfte, sei für sie etwas ganz Besonderes. „Trotzdem ging für mich mit dem Spielen der Rolle auch eine gewisse Schwierigkeit und Verantwortung einher, da Jenni im Gegensatz zu mir gehörlos ist.“

Die 22-Jährige nutzt Social-Media-Plattformen wie Tiktok und Instagram, um Gebärdensprache für jeden zugänglich zu machen. „Mitzuerleben, wie wenige Menschen Gebärdensprache können und wie wenig die meisten über die Kultur dahinter wissen, hat mich oft sehr frustriert und teilweise auch wütend gemacht. Aus diesen Gefühlen kam mit der Zeit das Bedürfnis, mich dafür einzusetzen, dass sich dies ändert, wenn auch nur im Kleinen.“

Daher stamme die Idee, gemeinsam mit ihren Eltern kostenfreie Gebärdensprachkurse für Anfängerinnen und Anfänger anzubieten. „Als dann die Pandemie ausgebrochen ist, bin ich auf Social Media umgestiegen.“ Sie habe sich dabei „eher als eine Brücke gesehen zwischen der Hörenden- und der Gehörlosenwelt“. Erst seit 2002 ist die Gebärdensprache in Deutschland rechtlich anerkannt. Früher, das weiß Annalisa Weyel von ihrer Mutter, mussten gehörlose Kinder oft zum Logopäden, damit sie das Sprechen lernten. Dass aber jemand aus der Familie Gebärden gelernt habe oder Hörende auf Gehörlose zugegangen seien, sei so gut wie nie vorgekommen. Heute, sagt Weyel, ändere sich das ein wenig. dpa/sda

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