Erinnerungen einer Kontrolleuse

Persönliche Erlebnisse und Erfahrungen aus dem Badebetrieb im Bad Nauheimer Sprudelhof wie jene der 92-jährigen Hildegard Pfeffer und ihres elf Jahre jüngeren Bruders Hermann stehen nicht in Büchern. Sie sind nur in den Erinnerungen vorhanden. Grund genug, um mit dem Geschwisterpaar über die Blütezeit des Kurbetriebs nach dem Krieg zu plaudern.
Die Geschwister Hildegard und Hermann Pfeffer sind Bad Nauheimer Urgewächse. Als Dritte im Bunde gehörte die bereits gestorbene Schwester Gertrud, Jahrgang 1931, dazu. Ihr Vater war Elektriker im Heizkraftwerk des Staatsbades. Schon als Kinder badeten die beiden Mädchen in den Badehäusern, denn die Bediensteten bekamen manchmal Freikarten für Wannenbäder.
Auch der kleine Bruder Hermann empfand den Sprudelhof während und nach dem Krieg als sein zweites Zuhause. „Das war vor allem sehr familiär mit dem Oberbademeister Josef Lindner. Die Eltern kannten sich, und wenn ich meine Schwestern von der Arbeit abholte, dann lud uns Herr Lindner manchmal zu einem Eisbecher ein“, erinnert sich Hermann Pfeffer.
Seine Schwester Gertrud war damals Sekretärin des Oberbademeisters, und Hildegard hatte seit 1954 eine Stelle als „Kontrolleuse“ zunächst in Badehaus 3 inne. Nach einem erfolgreichen Job bei den Amerikanern sollte Hildegard eigentlich eine Schneiderlehre machen, aber das akkurate Mädchen liebte Zahlen und kam so in die Kurverwaltung.
Als Hildegard noch ganz neu und unerfahren war, wurde ihre Gewissenhaftigkeit mit dieser Episode auf die Probe gestellt: „Da kam ein Herr aus Holstein, ein Pferdezüchter. Der führte sich auf, weil er einen anderen Badetermin als den auf seiner Badekarte haben wollte. Die brav in der Schlange wartenden Gäste waren ziemlich sauer. Aber ich hatte doch meine Anweisungen. Ich bot ihm an, mit dem Arzt zu telefonieren, um einen früheren Termin zu bekommen. Das wollte er aber nicht. Im Nachhinein machte ich mir viele Gedanken, ob das richtig war.“ Und schmunzelnd fügt sie an: „Der wollte bestimmt nur mit seinem Kurschatten wegfahren.“
„Ach ja, die Kurschatten. Dafür hatten wir schnell einen Blick“, erzählt Hermann, „wenn zwei plötzlich auf der Bank voneinander abrückten oder der Herr das Täschchen der Dame trug.“ Auch bei den Kontrolleusen probierten es manche, sei es, weil sie ihren Termin verschieben wollten, um gemeinsame Freizeit zu haben oder, selten mal, um zusammen in die Doppelwanne zu kommen. Aber die war den Ehepaaren vorbehalten. Die Thermal-, Sprudel-, Sole-, Sprudelstrombäder oder Torfpackungen waren vom Badearzt verordnet, genau in Dosierung und Länge. Auch die Abfolge musste individuell auf die Erkrankung angepasst sein, damit es nicht zu Komplikationen kam.
Mit der Verordnung gingen die Gäste zur Kurverwaltung und bekamen ihre Badekarten. Diese wurde von den Kontrolleusen überprüft. „Das war eine große Verantwortung, denn wenn etwas nicht stimmte, mussten wir den Arzt anrufen. Deshalb hatten wir auch in jedem Badehaus schon ein Telefon.“
Hildegard war offenbar eine sehr beliebte junge Dame, denn sie erinnert sich an so manche kleinen Geschenke der Badegäste. Einmal kam zu Weihnachten ein großes Präsent von der Firma 4711. Da sie nichts bestellt hatte, fragte sie in Köln nach. Dort sagte man ihr, das sei ein Auftrag aus Amerika. Schließlich stellte sich heraus, dass ein Badegast sich auf diese Weise bedanken wollte. Gut in Erinnerung ist Hildegard Pfeffer „Frau Nickenich“: „Wir nannten sie so, weil sie sich immer, wenn sie Trinkgeld bekam, verbeugte.“
Auch an den „zahmen Engländer“ erinnert sie sich, der vorweg schon an die Kurverwaltung schrieb, man solle Fräulein Hildegard informieren, dass die verrückten Engländer wieder kämen.
„Der hatte einen Narren an mir gefressen, weil ich so gerne Schottenröcke trug“, erzählt sie lachend. Beim Besuch von König Ibn Saud stand ihre Schwester mit Oberbademeister Lindner an der Hintertür zum Fürstenbad zum Empfang bereit. Die säbelbehangenen Wächter sieht sie noch heute vor sich.
Bevor der Badebetrieb im Sprudelhof endete, ging Hildegard Pfeffer 1990 nach 36 Jahren in den Ruhestand. „Ich habe nicht viel verdient, aber es war meine schönste Zeit“, resümiert sie.
So gerne würde sie noch einmal eine Baustellenführung im Sprudelhof machen, aber das wird aus gesundheitlichen Gründen wohl nicht mehr möglich sein.