Angehörige beklagen „Willkür“

In Bad Nauheim ärgern sich Grab-Besitzer über die Friedhofsverwaltung. In überzogener Weise fordere das Amt sie auf, Pflanzen auf dem Hauptfriedhof zu beseitigen. Was hat es mit den Vorwürfen auf sich?
Marcus W. schaut traurig auf das Familiengrab auf dem Bad Nauheimer Hauptfriedhof. Seine Eltern und Großeltern liegen dort, regelmäßig kümmert er sich liebevoll um die kleine Anlage. „Und jetzt wird der Friedhof plattgemacht.“ So empfindet der Mann die amtliche Anweisung an viele Grab-Besitzer, Pflanzen zu beseitigen - was das Rathaus allerdings anders sieht.
Einige Hundert Meter weiter steht Monica A. (beide Namen geändert) ebenfalls vor einem Familiengrab. Ihr Mann ruht seit 14 Jahren in der gepflegten Stätte. Zwei Eiben, die neben dem Grabstein stehen, soll ihr Gärtner nun entfernen. „Das ist albern, es stört doch keinen“, sagt sie bitter. Sie sei deshalb sogar beim Anwalt gewesen, der mit dem Friedhofsverwalter gesprochen habe - erfolglos.
Auch Marcus W. soll eine Pflanze wegmachen, die er eigenhändig auf das Grab gesetzt hat und die er hat wachsen sehen. „Diese Zypresse wollte ich haben, weil sie schön grün ist und das ganze Jahr über gut aussieht“, sagt er. Laut der städtischen Friedhofsordnung, die 2022 modifiziert wurde, bedürfen Gehölze der Genehmigung, wenn sie über 1,20 Meter hoch sind. „Ich habe die Eiben daraufhin kürzen und verschlanken lassen“, berichtet Monica A. Doch das reicht nicht, sie sollen ganz weg, weil die Wurzeln eine dahinter liegende Mauer beschädigen könnten, heißt es. Bei Marcus W. lautet der Grund seinen Worten zufolge, dass die Zypresse „illegal“ gepflanzt worden sei.
Beide Grab-Besitzer haben Briefe von der Friedhofsverwaltung erhalten. Damit sehen sie sich, wie sie deutlich machen, behördlicher Willkür ausgesetzt - die Satzung werde übertrieben genau umgesetzt. Sofern sie den Aufforderungen nicht bis zum 27. Februar nachkämen, wolle das Amt die Pflanzen selbst beseitigen und eine Rechnung schicken. „Nicht nur uns geht es so, es sind ganz viele Menschen betroffen“, bedauert Monica A. Sie zeigt über das Friedhofsgelände, dessen Erscheinungsbild sich stark verändert habe. „Das sah früher so schön aus mit der dichten Bepflanzung.“ Nun aber betrachtet sie den Charakter des Friedhofs als zerstört.
Bei einem Rundgang zeigt Marcus W. die Veränderungen. Immer mal wieder sind abgesägte Baumstümpfe zu sehen. Nicht wenige Anlagen haben das Merkmal der zwei Koniferen neben dem Grabstein, doch viele Sträucher sind oben abgeschnitten.
Die beiden Betroffenen wissen von vielen weiteren Fällen, wie sie erzählen: „Eine ganze Reihe von Leuten hat sogar das Grab vorzeitig aufgegeben, weil es ihnen durch die Auflagen zu teuer wird“, sagt Monica A. Wie Erdflächen an manchen Stellen denn auch vermuten lassen, sind dort Gräber abgeräumt worden. An einem Grabstein prangen zwei Zettel der Friedhofsverwaltung, einer trägt die Aufschrift „Grab ist ungepflegt“. Die Ruhestätte sieht im Grunde manierlich aus, was laut Marcus W. auch nie anders gewesen ist.
Wegen seiner Zypresse telefonierte er sogar schon mit Bürgermeister Klaus Kreß. Das sei aber zwecklos gewesen. „Er hat sich auf die Friedhofsordnung bezogen“, sagt W.
Zu den Vorwürfen bezieht Heiko Heinzel Stellung, der Fachbereichsleiter für Stadtentwicklung. „Durch die Umsetzung der Friedhofssatzung tragen wir unserer Verkehrssicherungspflicht sowie einem ansprechenden und einheitlichen Erscheinungsbild Sorge.“ Laut Heinzel können Wurzeln und Äste nicht nur die Standsicherheit der Grabeinfassung und des Grabsteins beeinträchtigen. Überwuchs könne sich zudem negativ auf benachbarte Grabstätten und Anlagen auswirken. „Ähnlich wie beim Grundeigentum auch, ist es bei Grabstätten zu vermeiden, dass es zu gegenseitigen beziehungsweise ,nachbarschaftlichen‘ Störungen kommt“, sagt er.
Seinen Worten zufolge überprüft die Friedhofsverwaltung die Grabanlagen turnusmäßig und erfasst potenzielle Störungs- und Gefahrenquellen auf diese Weise. „Die Nutzungsberechtigten der Grabstellen werden dann anschließend zur Behebung aufgefordert. Hierbei ist uns ein gleichförmiges und verhältnismäßiges Vorgehen wichtig“, erklärt Heinzel. Im Regelfall könnten auf diesem Weg einvernehmlich gestalterische Lösungen gefunden werden.
Fragen zur Zahl der Gräber, die aus Kostengründen gekündigt wurden, sowie zu dem angeblich ungepflegten Marmorgrab kann das Rathaus krankheitsbedingt im Moment nicht beantworten.