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Weltnaturerbe sollte Mülldeponie werden

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Von: Claudia Kabel

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Dieses versteinerte Skelett eines Urpferdchens, ein rund 47 Millionen Jahre altes Fossil, wurde bei Grabungen in der Grube Messel entdeckt worden.
Dieses versteinerte Skelett eines Urpferdchens, ein rund 47 Millionen Jahre altes Fossil, wurde bei Grabungen in der Grube Messel entdeckt worden. © Boris Roessler (dpa)

Die Grube Messel, heute ein Unesco-Weltnaturerbe, sollte einst eine Mülldeponie werden. Der Kampf dagegen war ein Krimi bis zum Schluss.

„In einer Diktatur wären wir für das, was wir getan haben, eingesperrt oder gehängt worden“, sagt Margit Oppermann, wenn sie heute auf ihren über 25 Jahre währenden Kampf für die Grube Messel zurückblickt. Gehängt wurden die 54 Privatpersonen nicht, die 1979 auf eigenes finanzielles Risiko gemeinsam mit der Gemeinde Messel gegen den Planfeststellungsbeschluss für eine Mülldeponie klagten. Doch besonders geehrt wurden sie auch nicht, als die Grube 1995 zum Unesco-Weltnaturerbe erklärt wurde. Vor kurzem haben Oppermann und ihre Mitstreiter – wiederum auf eigene Initiative – eine Gedenktafel mit den Namen der Kläger im Hof des Heimatmuseums aufstellen lassen. Ermöglicht wurde dies durch den Ludwig-Bergsträßer-Preis der Entega-Stiftung, mit dem die einstige Bürgerinitiative 2015 für besonderes bürgerschaftliches Engagement ausgezeichnet wurde.

Es war 1971, als die Messeler aus der Zeitung erfuhren, dass in der stillgelegten Ölschiefertagebaugrube eine Mülldeponie für die gesamte Rhein-Main-Region entstehen sollte. „Damals rückte regelmäßig die Feuerwehr aus, um Schwelbrände, die sich durch den abrutschenden Ölschiefer entzündeten, zu löschen“, erinnert sich Oppermann, die damals Anfang 20 war und gerade eine Juso-Ortsgruppe gegründet hatte. Die Grube war mit Wasser gefüllt, das aus unbekannten Quellen einströmte. Zudem war seit 1860 bekannt, dass im Ölschiefer Fossilien ruhten, wie der Leiter des Museumsvereins Messel, Klaus Winkelmann, sagt. Ein denkbar ungeeigneter Ort für eine Mülldeponie, möchte man meinen.

Doch es war „ein Deal, eine abgefeimte Sache“, schildert Wolfgang Martin, Vorsitzender des Freundeskreises Stadtmuseum Darmstadt. Die Gasbetonfirma, die die Grube betrieben hatte, war in finanzieller Schieflage; hätte hohe Kosten zur Verfüllung der Grube zahlen müssen. Die öffentliche Hand wollte der Firma unter die Arme greifen und die Etats von Landkreis Darmstadt-Dieburg und Stadt Darmstadt wären saniert gewesen: Die anvisierten 25 Millionen Kubikmeter Abfälle hätten über 30 Jahre zehn Milliarden D-Mark einbringen sollen, sagt Martin.

Empörte Bürger schlossen sich sofort zur überparteilichen Initiative um Margit Oppermann und Willy Mößle zusammen. Zum ersten Treffen kamen 300 Bürger, später hatte die BI bundesweit 3000 Mitglieder. Man kämpfte sich durch Gutachten und fand potenzielle Sicherheitsrisiken und Argumente für eine Langzeitgefährdung für Mensch und Umwelt. Unter anderem fehlte eine Abdichtung zum Grundwasser. Doch „Sachargumente galten nicht und Fossilien interessierten nicht“, erinnert sich Oppermann. Das Verwaltungsgericht Darmstadt wies 1982 die Klage ab. Inzwischen hatte der Zweckverband Abfallbeseitigung Südhessen den Wissenschaftlern eine Grabungserlaubnis während der Verfüllung mit Müll erteilt und sie damit ruhig gestellt, so Oppermann. Über alle regierenden Parteien hinweg wurde über die Jahre am Beschluss festgehalten. Man machte sich über die BI, die eine Vision von Müllvermeidung durch Mülltrennung und Recycling hatte, lustig. Lokale Medien berichteten nicht mehr und die BI musste Anzeigen schalten und selbst Infoblätter verteilen.

Erst 1988 wurde in zweiter Instanz der Planfeststellungsbeschluss vom Verwaltungsgericht Kassel wegen technischer Mängel aufgehoben. Dass das Land Hessen nicht in die dritte Instanz ging, ist laut Wolfgang Martin einem Staatssekretär und Deponiegegner im Umweltministerium zu verdanken. Er habe gewartet, bis alle Deponiebefürworter in Urlaub waren und dann die Aufhebung des Beschlusses unterschrieben. Zuvor hatte er ein Gutachten anfertigen lassen, laut dem es 300 Millionen D-Mark kosten würde, die geplante Deponie auf den neuesten Stand zu bringen.

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