Warten auf den Facharzt

Offiziell herrscht in kaum einem Landstrich Hessens Fachärztemangel. Trotzdem bekommen Patienten oft erst nach Monaten Termine.
Die Frau litt unter Kniebeschwerden. Trotz Überweisung bekam sie beim Radiologen erst zehn Wochen später einen Termin. Der Mann mit dem Karpaltunnelsyndrom hatte noch mehr Pech. Ihm gelang es überhaupt nicht, einen geeigneten Neurologen zu finden.
Schlechte Verteilung
Offiziell herrscht in kaum einem Landstrich Hessens Fachärztemangel. Doch die Verteilung stimmt nicht. „Gerade die Menschen in ländlichen Regionen müssen bei einzelnen Facharztgruppen oft monatelang auf Termine warten“, meldet die Techniker Krankenkasse (TK) Hessen.
Wie AOK, DAK oder BKK Deutschland bietet auch sie ihren Versicherten an, für sie „zeitnahe“ Behandlungstermine zu organisieren. Die Auswertung für das Jahr 2010 ergab: Ein Termin beim Radiologen ist am begehrtesten, gefolgt vom Orthopäden, Hautarzt, Augenarzt sowie Neurologen. Und es gibt weitere stark gefragte Facharztgruppen, sagt Johanna de Haas, Ärztin bei der Unabhängigen Patientenberatung in Gießen. Wer einen Rheumatologen sucht, habe mit monatelangen Wartezeiten zu rechnen. Gleiches gelte, zumindest in Mittelhessen, für Psychotherapeuten: „Da muss man rund ein halbes Jahr warten.“ Patienten mit akuten Problemen bleibe manchmal nichts anderes übrig, als in eine Klinik zu gehen.
Im Ballungsraum ist die Situation entspannter, bestätigt Daniela Hubloher von der Verbraucherzentrale Hessen. „Auf dem Land sind die Anfahrten lang, ist aber auch die Auswahl gering.“ Gesundheitspolitisch sei das so gewollt, sagt Cornelia Kur von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Hessen. Die Bedarfsplanung aus dem Jahr 1992 sei überholt, berücksichtige weder geografische Besonderheiten, medizinischen Fortschritt noch die demografische Entwicklung. Manches lässt sich auch nicht erklären.
Bleiben wir beim Beispiel des Radiologen: Im Kreis Waldeck-Frankenberg soll ein Facharzt 157000 Patienten versorgen, im Hochtaunuskreis darf sich auf 61890 Bewohner ein Radiologe niederlassen und im Main-Kinzig-Kreis sind es 83643 Bewohner. Die Folge: In allen drei Landkreises herrscht dem Papier nach eine Überversorgung. Wer nach Erklärungen sucht, so Kur, müsse sich an die Gesundheitspolitiker in Berlin wenden.
Doch auch die Patienten selbst tragen ihr Scherflein zu den langen Wartezeiten bei. Nachzulesen ist das in einer Studie des Kölner Instituts für Gesundheitsökonomie. Innerhalb eines Jahres waren 618 Patienten in einer Auricher Radiologie unentschuldigt nicht zum vereinbarten Termin erschienen. Die Praxis war damit blockiert.
Auch die Häufigkeit, mit der der Bundesbürger zum Doktor geht, machen so manche Experten für den gefühlten Ärztemangel mit verantwortlich. Ferdinand Gerlach, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin an der Uni Frankfurt: „In Deutschland hat jeder durchschnittlich 17,9 Arztkontakte pro Jahr, während es in Schweden gerade mal 2,8 und im europäischen Durchschnitt rund sieben sind.“