Der Vertrag des Kinderschänders

Vor dem Frankfurter Landgericht muss sich ein Mann für den sexuellen Missbrauch seiner beiden Stieftöchter verantworten. Jahrelang hatte er die Kinder geradezu darauf abgerichtet, ihm gefügig zu sein.
Ich bin auch ein Mensch“, sagt der Stiefvater seinem Richter, „ich mache auch Fehler.“ Das ist maßlos untertrieben. Der Stiefvater steht wegen schweren sexuellen Missbrauchs Schutzbefohlener vor dem Landgericht. Es ist eine besondere Anklageschrift, die dort verlesen wird. Eine, bei der es auch hartgesottene professionelle Prozessbeobachter nicht bis zum Ende aushalten und ihr Seelenheil in der Flucht suchen. Doch nicht alle haben das Privileg, weglaufen zu können, wenn es nicht mehr zum Aushalten ist. Der Stiefvater hat die Schwestern nicht erzogen. Er hat sie abgerichtet. Schwer zu sagen, wann es begann, aber es begann im Bett, beim Vorlesen der Gutenachtgeschichten. Die Hand des Stiefvaters wanderte beim Vorlesen der Gute-Nacht-Geschichte in Regionen, wo sie nichts verloren hatte. Die Mädchen waren damals vier und sechs Jahre alt. Das war der Anfang.
Tochter muss einen "Sex-Vertrag" unterschreiben
Es folgten Pornos. Der Stiefvater spielte sie den Schwestern vor. Er ließ sie die Szenen beim Baden nachspielen. Er berührte sie, er ließ sie sich gegenseitig berühren. Er wartete. Er wartete, bis die jüngere Tochter ihren zehnten Geburtstag feierte. Die ahnte wohl schon, dass sie selbst das Geburtstagsgeschenk sein sollte. Für ihren Stiefvater. „Ich kannte es ja nicht anders“, so hat sie es den ermittelnden Beamten damals erzählt. 24 Einzeltaten sind aufgeführt. Die Anklageschrift fängt schlimm an. Und wird dann schlimmer. Ihren Höhepunkt findet sie am Ende. Die jüngere Tochter, die sexuelle Favoritin des Stiefvaters, ist noch nicht volljährig. Ihre Mutter ist in der Psychiatrie – sie ist mit einem Messer auf den Stiefvater losgegangen. Der Stiefvater zwingt die Tochter, einen „Sex-Vertrag“ zu unterschreiben, der sämtliche Perversionen en détail regelt. Unterschreibe sie nicht, droht der Stiefvater, werde er dafür sorgen, dass die Mutter nie mehr entlassen werde. Die Stieftochter tut, wie ihr befohlen. Als Gegenleistung gibt’s Geld für Zigaretten. Und einen Laptop. Es ist dieser Vertrag, der dem Stiefvater zum Verhängnis wird. Er hat ihn auf seinem Computer gespeichert. Und er ist unvorsichtig beim Pornobild-Tausch im Internet. Über andere Kinderschänder kommt die Polizei auf die Spur des Stiefvaters. Dieser ist ein dürrer, kleiner Mann mit Bart und ebenso schütteren wie ungepflegten Haaren. Sein Gesicht versteckt er vor dem Prozess unter einer Kapuze, während des Prozesses kehrt er dem Publikum den Rücken zu und redet mit so leiser Stimme, dass selbst der Vorsitzende Richter ihn kaum verstehen kann. Irgendwann, erzählt er, habe ihm ein Bekannter auf einer Party Fotos gezeigt. Bilder von nackten Kindern, „wo auch mal Hand angelegt wurde. Das hat mein Interesse geweckt. Meine inneren Neigungen konnte ich nicht mehr beherrschen.“ Auch sein Anwalt sieht ihn eher als Getriebenen denn als Triebtäter. „Er weiß, dass er krank ist. Seine pädophile Leidenschaft hat ihn dazu getrieben. Er möchte sich in aller Form entschuldigen.“
Jüngeres Opfer als Nebenklägerin
Die jüngere Tochter tritt als Nebenklägerin auf. Sie ist eine zierliche Person, gerade mal volljährig geworden, doch sie wirkt noch deutlich jünger. Ihr Stiefvater ist geständig, was ihr einige demütigende Aussagen ersparen dürfte. Den ersten Verhandlungstag erträgt sie mit bemerkenswerter Gefasstheit. Nur manchmal muss sie den Saal verlassen. Sie sei, so hat es ihr der Stiefvater damals gesagt, bevor er sie mit Alcopops abfüllte und gefügig machte, seine „kleine Frau“. Eine kleine Frau, die gar nicht richtig fassen konnte, was da mit ihr geschah, da sie es lange Zeit für Normalität hielt. Und die nur dank der Ermittlungsarbeit der Polizei den Mut fassen konnte, jetzt gegen ihren Peiniger vorzugehen. Einen Menschen, der Fehler gemacht hat. „Ich erziehe dich zu einer geilen Tochter“, hatte der Stiefvater damals dem Mädchen versprochen. Auch das war ein Fehler. Es ist ihm nicht gelungen. Stattdessen sitzt auf der Bank der Nebenklage eine Frau, die so selbstbewusst ist, wie es die Umstände erlauben. Darin mag ein gewisser Trost liegen. Der Prozess wird fortgesetzt.