Verbotene Schätze in Hessen

Kaum jemand weiß, dass auch in hessischen Wäldern wilde Trüffeln wachsen. Doch gesammelt werden dürfen sie nicht ? eigentlich.
Josie besteht darauf, dass man ihr bei der Arbeit zusieht. Und sie will nicht kommandiert werden. „Guckst du hier mal, ob du was findest?“, schlägt ihr Frauchen freundlich vor, als sie mit der kleinen Hündin den Rand eines Eichenwalds im nordhessischen Bergland erreicht. Es ist ein kalter und trüber Winternachmittag, immer dichter fallen die nassen Schneeflocken. Kein Wetter, bei dem man einen Hund vor die Tür jagen würde. Josie aber kümmert das nicht. Eifrig wirbelt sie los und wird schon nach wenigen Metern spürbar aufgeregt. Doch bevor sie tut, was von ihr erwartet wird, blickt sie sich noch einmal aufmerksamkeitsheischend um. „Jaja, wir schauen alle!“, versichert Frauchen Ulrike Meyer, und Josie ist zufrieden.
Mit ihren Vorderpfoten beginnt sie im schneebedeckten Waldboden zu wühlen und gräbt etwas aus, das, gerade einmal walnussgroß, dunkel und erdverklumpt, auf den ersten Blick einigermaßen unspektakulär aussieht. Aber es verströmt einen intensiven Duft: pilzig, nussig, würzig. Es ist: eine Burgundertrüffel, wissenschaftlich Tuber Uncinatum und kulinarisch als Herbsttrüffel bekannt. Im Feinkostladen werden für das Kilo tausend Euro oder mehr verlangt. Fiona aber tauscht die Knolle bereitwillig gegen ein Leckerli. Was eine Delikatesse ist, liegt eben im Auge des Betrachters.
Stopp. Moment mal. In Deutschland gibt es wild wachsende Trüffeln? In Hessen? Stammt der edle und sündhaft teure Pilz nicht immer aus südlichen Ländern, aus Spanien, Italien, Frankreich? Ja und nein. Als „verspätete Trüffelnation“ wird Deutschland von dem niederländischen Historiker Rengenier Rittersma, der die Kulturgeschichte der Trüffeln erforscht hat, beschrieben. Nicht weil die unterirdisch wachsenden Pilze mit ihrer warzigen Außenhaut und dem elegant marmorierten Inneren hierzulande später heimisch geworden wären. Sondern weil man sie lange Zeit nicht recht zu würdigen wusste. „Während Trüffeln in Südeuropa schon seit dem Mittelalter verschenkt und verspeist wurden, gab es jenseits der Alpen ein massives Misstrauen gegenüber der aromatischen Knolle“, schreibt Rittersma – und zitiert Hildegard von Bingen, die Trüffeln für giftig erklärte und für Fehlgeburten verantwortlich machte.
Erst seit dem 18. Jahrhundert entwickelte sich auch in deutschen Landen eine Trüffelkultur. Zeitweilig waren deutsche Trüffeln derart beliebt, dass sie sogar exportiert wurden und man sie auf Plantagen nachzuzüchten versuchte. Doch nach nur 200 Jahren war schon wieder Schluss damit. Die, wie der Historiker es ausdrückt, „eher trüffelfeindliche Ernährungspolitik“ im nationalsozialistischen Deutschland setzte der Entwicklung ein jähes Ende. Und das nachhaltig. Es geriet in Vergessenheit, dass in heimischen Wäldern ein kulinarischer Schatz im Boden schlummert. Und ihn zu heben wurde untersagt.
Sämtliche Trüffelarten, egal ob genießbar oder ungenießbar, ob rar oder nicht so rar, stehen in Deutschland seit den 1980er-Jahren unter besonderem Schutz. Anders als etwa die ebenfalls geschützten Steinpilze oder Pfifferlinge dürfen sie nicht einmal für den Eigenverbrauch gesammelt werden. Bei Verstößen drohen Bußgelder bis zu 50 000 Euro. Auch Ulrike Meyer und Josie dürfen also eigentlich nicht tun, was sie tun. Deshalb heißen sie in Wirklichkeit anders als in diesem Text. Und auch der Ort, an dem die Trüffelsuchhündin an dem kalten Winternachmittag so erfolgreich die Edelpilze aufspürt, muss geheim bleiben. Trüffelsuche ist ein klandestines Hobby. Doch es fasziniert eine wachsende Zahl von Trüffeljägern überall in Deutschland.
„Jeder normale Spaziergang wird spannend“, schwärmt Ulrike Meyer. Die Schatzsuche beginne bereits lange zuvor am Schreibtisch: beim Brüten über geologischen und topografischen Karten, die verraten, wo Bodenbeschaffenheit und Baumbestand für Trüffelvorkommen sprechen könnten. Und wo keine Landwirtschaft das Wachstum der Pilze stört. „Man braucht sehr, sehr viel Zeit“, sagt die Trüffelsucherin. Und natürlich: einen speziell ausgebildeten Hund wie Josie, die schon wieder eine Burgundertrüffel erschnüffelt und ausgegraben hat und bereitwillig apportiert. Die menschliche Nase ist für die Suche nicht fein genug.
„Ich habe in meinem Leben schon mehr Burgundertrüffeln gesehen als Champignons“, erzählt Ulrike Meyer. „Selten sind die überhaupt nicht.“ Das Umweltministerium in Wiesbaden bestätigt das: Als Trüffeln pauschal unter Artenschutz gestellt wurden, habe man noch geglaubt, dass sie in Deutschland kaum vertreten und vom Aussterben bedroht seien, erklärt eine Sprecherin. „Inzwischen weiß man, dass diese Pilze deutlich häufiger und in einer Vielzahl von Arten vorkommen.“ Auch in Hessen. Einer Lockerung oder gar Aufhebung des Sammelverbots, wie es in Teilen der Trüffel-Community gefordert wird, erteilt das Ministerium gleichwohl eine klare Absage: „Angesichts des hohen Geldwertes von Trüffeln, bestünde ein zu hoher Anreiz zur Sammlung.“ Und damit die Gefahr eines „Raubbaus“.
Auch Ulrike Meyer lehnt eine völlige Freigabe ab. „Das würde zu viele Leute auf den Plan locken, die auf das schnelle Geld hoffen“, sagt sie. „Es darf keine Goldgräberstimmung heraufbeschworen werden.“ Aber, so schlägt sie vor: Warum sollten nicht Lizenzen vergeben werden an Sammler, die ihre Sachkunde unter Beweis gestellt haben? Die nachgewiesen haben, dass sie mit Hund und Natur richtig umzugehen wissen? „Diese Sachkundeprüfung soll ruhig schwer sein und auch etwas kosten“, findet Meyer. „Damit sich nicht jeder Hundehalter mal kurz an der Trüffelsuche versucht und ein neuer Hype in der Hundewelt entsteht.“
Sorgsam schüttet die Trüffelsammlerin das nächste Loch zu, das Josie in den Waldboden gewühlt hat. Das unterirdische Pilzzellengeflecht, das die Trüffeln hervorbringt, soll keinen Schaden nehmen.