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Verbale Attacke auf Nidderaus Bürgermeister: „Ich spürte eine abstrakte Gefahr“

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Von: Gregor Haschnik

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Andreas Bär wurde 2020 zum Bürgermeister von Nidderau gewählt.
Andreas Bär wurde 2020 zum Bürgermeister von Nidderau gewählt. © privat

Nidderaus Bürgermeister Bär spricht im FR-Interview über eine heftige Verbalattacke und teilweise verrohte Umgangsformen.

Andreas Bär (SPD) ist nicht der Typ, der keine Konflikte aushalten könnte. Er ist seit rund 20 Jahren in der Kommunalpolitik tätig und war vor seiner Zeit als Bürgermeister von Nidderau Lehrer. Das härtet durchaus ab. Doch nach einem Vorfall im Januar 2022 war er zunächst erschüttert.

Herr Bär, was führte dazu, dass Sie schließlich Strafanzeige nach Paragraf 188 des Strafgesetzbuches – der Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung von Personen des politischen Lebens unter Strafe stellt – erstatteten?

Im Januar des vergangenen Jahres hatten wir vor dem Rathaus Sternsingerinnen und Sternsinger zu Gast. Damals galt wegen der Corona-Pandemie die 3G-Regel. Ich habe die Kinder, die in der Gruppe Masken trugen, draußen empfangen. Ein Mann, offenbar ein Corona-Leugner, wollte zur Verwaltung, war aber weder geimpft noch in einem Testzentrum negativ getestet worden. Er wollte bereits dort keine Maske tragen und wurde abgewiesen. Dann wollte er mit Selbsttest ins Rathaus.

Was passierte danach?

Ich habe versucht, die Situation zu entschärfen und bot ihm eine Lösungssuche nach Ende des Empfangs an. Doch er beschwerte sich direkt, wurde ungehalten, aggressiv. Erst bezeichnete er mich als „Idiot“, danach rief er laut „Kinderschänder“ – weil die Sternsinger:innen Masken trugen.

Wie ging es Ihnen damit?

Ich war schon schockiert, auch aufgrund der Unmittelbarkeit. So etwas hatte ich noch nicht erlebt. Hinzu kam, dass es keinen nachvollziehbaren Grund für diese Eskalation gab. Und weil in jener Zeit immer wieder mal von einer Radikalisierung von Corona-Leugner:innen die Rede war, habe ich darüber nachgedacht, ob noch etwas folgen würde. In den ersten Tagen spürte ich eine abstrakte Gefahr.

Weshalb haben Sie beschlossen, die verbale Attacke anzuzeigen?

Die Entscheidung habe ich direkt danach getroffen, nicht nur wegen mir selbst. Ich hielt es als Repräsentant des Staates für wichtig, Grenzen zu setzen und deutlich zu machen: So etwas werden wir auf keinen Fall dulden!

Wie hat sich das Verhalten gegenüber Amtsträger:innen, auch in Ihrem Rathaus, entwickelt?

Ich bin sehr aktiv in den sozialen Medien und sehe dort besonders bei bestimmten Themen, etwa wenn es um Flüchtlingsunterbringung geht, eine Verrohung. Diese zeigt sich manchmal auch im direkten Kontakt im Verwaltungsalltag. Auffällig ist, dass es in manchen Fällen schnell aggressiv zugeht und persönlich wird. Meine Mitarbeitenden handeln jedoch nicht willkürlich, sondern auf Basis von Vorschriften und Gesetzen, doch deren Entscheidungen werden auf die Personen projiziert.

Wie gehen Sie und Ihre Mitarbeiter:innen damit um?

Wir haben uns eine gewisse Resilienz angeeignet und sprechen darüber, wenn etwas vorgefallen ist. Unser Leitungsteam ist zudem immer ansprechbar.

Sie haben zügig gehandelt. Bis ein Strafbefehl über 70 Tagessätze zu je 30 Euro gestellt wurde und Sie es erfahren haben, hat es offenbar lange gedauert. Wie bewerten Sie den zeitlichen Verlauf?

Ich habe am 12. Januar 2022 Anzeige erstattet. Ein halbes Jahr danach beantragte die Staatsanwaltschaft beim Amtsgericht einen Strafbefehl, der am 4. August erlassen und Mitte September rechtskräftig wurde. Das ist eine lange Zeit, gerade wenn man bedenkt, dass die Polizei den Verdächtigen schon kurz danach aufgesucht und den Sachverhalt aufgeklärt hatte. Vor allem aber bekam ich lange Zeit kaum Informationen zum Stand des Verfahrens, obwohl ich seit Juni 2022 mehrfach bei der Staatsanwaltschaft nachfragte und um Akteneinsicht bat.

Was ist daraus geworden?

Die beantragte Akteneinsicht wurde mir sogar telefonisch mit dem Hinweis verwehrt, dass dies nur Anwälten zustehe. Plötzlich erhielt ich Anfang Februar dieses Jahres, also gut zwei Wochen, nachdem im Landtag eine Kleine Anfrage zu dem Fall eingereicht worden war, eine Abschrift der Akte.

Das Justizministerium weist Kritik zurück, schreibt in seiner Antwort auf die Kleine Anfrage, der Verfahrensablauf habe der Strafprozessordnung entsprochen, die keine Verpflichtung vorsehe, Geschädigte „fortlaufend über den Verfahrensstand zu unterrichten“. Wie haben Sie den Verlauf empfunden?

Ich hatte das Gefühl, dass ich als Betroffener in diesem Verfahren unwichtig bin. Bei mir herrschte Ungewissheit. Es geht mir nicht darum, der Staatsanwaltschaft Hanau einen Vorwurf zu machen, in der wie in anderen Strafverfolgungsbehörden Personalknappheit herrscht. Aber ich möchte darauf hinweisen, dass es strukturelle Mängel gibt und Geschädigte besser informiert werden sollten.

Interview: Gregor Haschnik

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